Fallensteller – Saša Stanišic´

k1024_fallenstellerLuchterhand  | 281 Seiten

>>  Im Sammelband „Fallensteller“ vereint Stanišić 12 voneinander unabhängige Geschichten, die nicht nur sprachlich überraschen. Es sind Geschichten von Fallenstellern in Bohème-Nischen, von Menschen, die sich selbst Fallen stellen, von Täuschungen am Rand der Magie, aber auch Erzählungen, denen der Bezug zum Titel fehlt. Über eine große erzählerische Bandbreite hinweg schöpft der Autor aus sehr unterschiedlichen Milieus. Feinfühliges aus dem Ende eines Betriebslebens. Kenntnisreiche Psychologie einer Billardpartie. Laute Ich-Bezogenheit eines Profilneurotikers. Gedanken- und Daseinsfluchten eines deutschen Bürokraten im brasilianischen Urwald. Traurigkeit eines Pubertierenden beim Wandertag und Kontraste im verwandelten Leben eines Start-up-Company-Gründers.

Die umfangreichste Geschichte gibt dem Buch die Aufschrift. „Fallensteller“ ist die bemerkenswerte Landschaftsstudie der Uckermark, wo die Menschen so verweht scheinen wie ihr Landstrich. Ausgedünnt versammeln sich die Verbliebenen in durstiger Besonnenheit in Garagen, um dem Glucksen des Bierhahnes zu lauschen, soweit sie dazu noch in der Lage sind. Kacken dem Nachbarn schon mal in den Garten oder springen nackt aus dem Fenster, um ein randalierendes Wildschwein in die Flucht zu schlagen. Stanišić intoniert all diese überraschenden Details mit wunderbar deplatzierter Sachlichkeit. Als das heimliche Bild des verdauenden Nachbars im Immobilienschaufenster hängen bleibt, notiert Stanišić, dass dies vor allem das geringe örtliche Interesse an Immobilien deutlich machen würde

Veränderungen bringt die literarische Infektion des an sich schlicht gestrickten Bäckersohns Lada. Nachdem ein verweichlichter „Jugo“-Schriftsteller (der Autor selbst) den kleinen Ort Fürstenfeld öffentlich als vermeintliche Prosahochburg angepriesen und Lada zum Selbstversuch ein Schreibheft geschenkt hatte, wird nicht nur Ladas überhitztes Gemüt befriedet, sondern auch der Literat in Lada geweckt. Stanišić macht ihn zum Dorfschreiber, dessen Geschichte wir lesen. Die zentrale Figur in Ladas Aufzeichnungen ist der Fallensteller – ein verschlossener, in Ledermantel gehüllter Unbekannter, der französische Tageszeitungen liest, in Reimen quacksalbert und schon mal das Selbstwertgefühl der Schwerkraft beleidigt, wenn er in der Gartenschaukel am höchsten Punkt verharrt. Seine Mission bleibt so dunkel wie die Tönung seines Umhangs. Die Ergebnisse seines Wirkens jedoch finden weitgehende Anerkennung. In der Umtrunk-Garage endet die Rattenseuche mit der Konvertierung des Getiers, als es sich spontan in einer Spielzeugkirche evakuieren lässt. Die Fliege auf dem Knie der Bäckersfrau begibt sich ungeniert in eine geöffnete Streichholzschachtel und stört fortan nicht mehr. Auch eine Wildschweinrotte nimmt bereitwillig das Angebot an, auf einer LKW-Ladefläche ins Ungefähre jenseits von Fürstenfeld umgesiedelt zu werden. Man ist verblüfft.

Doch der Fallensteller wäre nur unterhaltende Magie, wenn er nicht auch die Moral eines Rattenfängers von Hameln in die ostdeutsche Provinz tragen würde. Gerechtigkeit ist nicht verhandelbar, Verfehlungen werden streng geahndet und im Übrigen sind Tiere unantastbar. Mit einer blutigen Nase meldet sich ein Vater nach durchzechter Nacht – angeblich von drei Asylanten niedergestreckt. Tatsächlich sprach der Fallensteller zu ihm, er möge seinen Sohn fortan wie einen Sohn behandeln. Der Vater hatte den Sohn öffentlich gedemütigt, nur weil sein lächerlicher Hamster abhandengekommen war. Der Fallensteller entpuppt sich als Rächer für die verweigerte Würde von Kind und Tier. Der Hamster Hugo taucht prompt wieder auf – oder vielleicht ist es auch ein anderer. Die Höchststrafe wird schließlich fällig, als dem Fallensteller der zugebilligte Obolus verweigert wird, nachdem er die störenden Wildschweine außer Landes gebracht hatte. Auch wenn nie ein rächendes Wort geäußert wird, sind allen die Zusammenhänge einleuchtend. Der schuldige Forstrat wird frierend und gefesselt auf dem Truppenübungsplatz gefunden. Sich verweigernde Mitbürger finden ihre Gärten von Wildschweinen vernichtet. Parkende PKWs einschlägiger Besitzer sind durch Rattenfraß bis in alle Ewigkeit unbrauchbar geworden. Und was ist mit Fürstenfeld? Irgendwie ist man auch stolz auf eine Entführung, die dem übersehenen Ort endlich etwas Arabisch-Großstädtisches verleiht.

Voller Klamauk sind die drei Episoden des Macho-Kosovaren Mo, der das Bild einer syrischen Exilmalerin in Stockholm stiehlt. Leider gefällt seinem Vater das Motiv der in Kinderkleidung gehüllten Marschflugkörpern aus Aleppo so wenig, dass er nicht bereit ist, seinem Sohn dafür Tausende von Euro zu zahlen. Mo will in aller Ausführlichkeit erkannt werden, vor allem von Frauen, in deren Leben er sich nicht nur durch ein zeitgenössisches Wischen auf dem Smartphone verankern will.

Die tiefschürfendste Episode verbirgt sich im Schlusskapitel des Start-up-Gründers der Firma memstore. Entgegen dem erfolgreichen Konzept seiner brain-computer-interface Idee, aus Bruchstücken der Erinnerung Geschichten zu konstruieren, lebt er eine pure Gegenwart. Im Yuppie-Ambiente Frankfurts negiert er seine tragische jugoslawische Vergangenheit. Er verweigert sich der zurückgebliebenen Familie und den eigenen Schicksalsfragmenten. Anrührend ist die Kindheit beschrieben. Der Vater ertränkt sich. Die Mutter geht dem Sohn verloren, weil sie fortan im Verlustschmerz ertrinkt. Der Großvater gibt ihm Zuversicht und lässt ihn auf seinem Hemd schwimmend ein Fluss-Gefühl der Zuversicht erleben. Als die Militärschergen schließlich mit Erschießungen beginnen, erschließt der Großvater dem Enkel über genau diesen Fluss die Zukunft. In Deutschland angekommen, wird er den Großvater jedoch nie wieder sehen, weil er es ablehnt, in das Land des Hasses zurückzukehren. Selbst zum Sterben des Großvaters wird er diesem lediglich ein Hemd nähen und schicken lassen. In diesem Hemd wird der Großvater sich dem Totenfluss Styx anvertrauen wie auch der Enkel sich dem Lebensfluss im Hemd des Großvaters anvertraute.

Stanišić setzt die olympiareife Wortakrobatik sehr unterschiedlich dosiert ein: fein nuanciert in den ernsten Passagen über Alter, Lebensende und Niedergeschlagenheit; markant gekonnt in den Situationskapiteln des Billardspiels, des albanischen EU Betrugs und der brasilianischen Kontraste von Seelenleben und Chaos. Leider überzeichnet er den Sprachwitz in den Kapiteln um den Aufschneider Mo so sehr, dass man als Leser seine Not hat, die überzogene Form als Rechtfertigung des Inhalts durchgehen zu lassen. Es bleibt dennoch das erstaunliche Werk des Enddreißigers Stanišić, dessen Muttersprache noch nicht einmal das Deutsche ist, und der diesem Sprachraum erst seit seinem 14ten Lebensjahr angehört. Vermutlich die magische Meisterleistung eines Fallenstellers. Man darf beeindruckt sein. Note: 2 (ur) <<

 

>>Viel Bizarres, dünner Quark
Sascha schreibt zur Uckermark.

Wo bald wilde Wölfe hausen
saufen jetzt schon die Banausen.

Jugo macht darüber Witze,
manchmal zäh und manchmal Spitze.

Für ne Ratte stellt er Falle
und wir tappen rein, wie alle.

Pitschpatsch schnappt die Falle zu
Ratte hat jetzt endlich Ruh.

Jetzt kriegt Sascha viele Preise
ach, ich find das wirklich toll.

Gebastelt von der „Persona non krater“ (Wortspiel siehe Seite 211)

Note: 3 – (ax)  <<

 

>>Das sind alles außergewöhnliche Geschichten und außergewöhnliche Figuren und über weite Strecken außergewöhnlich wortgewandt  erzählt. Ob tragikkomisch wie der Modernisierungsverlierer Klingenreiter als einsamer Illusionist , ob gut gemeint aber reichlich hilflos christliche Menschenrechtsaktivisten, ob realistisch-absurd ein EU-Sprudelprojekt und Hirten im Osten Bosniens, ob die Doppelbödigkeit einer syrischen Surrealistengalerie in Stockholm (“Rayans Erzählung von Safi und Saida aber ist echt“ – wirklich????), ob die Irrfahrt des Vogelbräu Justiziars Georg Horvath in Brasilien (großartig die  „Inflight-Riesling“ Episode), er begegnet uns wiederholt in Bukarest oder in einer reichlich kafkaesken Selbstsuche, ob in der umfangreichsten und zugleich schrägsten Figur des Fallenstellers im uckermarkschen Fürstenfelde, ob die  vielleicht tiefsinnigste Episode eines Ich-Erzählers, die aus einer heiter-erotisierenden Provence-Paris Fahrt durch einen Anruf („Bin bei Opa…“) plötzlich in eine Aufarbeitungs- und Erinnerungsgeschichte kippt . Mag sein, dass es da auch schwächere Erzählungen gibt (‚Billard Kasatschok‘ oder ‚Im Ferienlager im Wald‘), aber Staniscic beherrscht das Wechselspiel von Realität und Fiktion, zeigt im vordergründig Komischen wie etwa in der Figur des Fallenstellers Hintergründiges   nicht nur auf die Provinz Nordwestuckermark  Begrenztes auf. Ein „verweichlichter Jugo-Schriftsteller“ (Stanisic und sein Roman ‚Vor dem Fest‘ lässt grüßen)  macht Fürstenfelde literaturfähig, dessen  Nach-Erzählerfigur Lada stellt Fürstenfelde die Fallen.  Was folgt ist ein Feuerwerk von Gaukelspiel und Ernsthaftigkeit:  Der Umgang mit dem Fremden, Verkleidung und Entlarvung, Garagenbierseligkeit, Miefigkeit im Haus erkalteter Beziehung  von Günter und Angela Zieschke, Rattenbedrohung und Hamsterrettung,  die „Causa Wolf“ und die Genese einer skurrilen Protestkultur und als Höhepunkt, völlig unvermittelt  nach Wildschwein und Treibjagd gesetzt der Auftritt der Apothekerin Helms . Eine berührende Geschichte einer Traumatisierung, die ihre Wurzeln in den späten DDR-Jahren hat und ein Fallensteller, C.G. Jung hätte seine Freude daran, der Frau Helms Versagensängste gegenüber dem Vater behutsam therapiert. Zwei Seiten nur, aber wie der größte Teil des Erzählbandes brilliant. Note: 1 (ai)<<

>>Der Sound dieser wunderbaren Sammlung von Erzählungen geht einem sofort unter die Haut, wenn man die nur eine Seite lange, grandiose  Einleitung der titelgebenden Geschichte auf Seite 169 liest, an dessen Ende ein Wildschwein einen Menschen so einfach duzt.
Der etwas aus der Zeit gefallene Fallensteller kommt nach Fürstenfelde in der Uckermark und befreit eine ganze Reihe der kauzigen Bewohner von Ratten-, Mäuse-, Hamster-, Wildschwein- und sonstigen Problemen auf magische Weise. Die Gegend wurde schon Literaturtouristen heimgesucht, seit ein Schriftsteller- „der Jugo“ – ein Buch über die Bewohner geschrieben hatte. Teilweise nennen sich die Bewohner nicht mehr mit ihrem richtigen Namen, sondern so wie sie im Buch heißen. Sehr skuril. Als sich dann auch noch der Wolf in der Umgebung anmeldet, gerät die scheinbare Ordnung vollends außer Kontrolle.
Eine literarische Entdeckung ersten Ranges wird der Erzählband aber hauptsächlich durch einen spielerischen, lustvollen, überaus kreativen und auch sehr lustigen Umgang mit der deutschen Sprache. Dass der Autor erst seit 1992 mit 14 Jahren nach Deutschland kam und damit auch in den Kontakt mit der Sprache, die er wie kaum ein anderer beherrscht, verblüfft völlig. Note: 1– (ün)<<