Klack-Klaus Modick

K1024_klackKiepenheuer&Witsch 2013 , 221 Seiten .

>> Fotos als Botenstoff der Erinnerung. Der Sound der 50iger und 60iger Jahre klingt auf. Nicht nur musikalisch. Ob die als „Panzerplatten“  bezeichneten Bundeswehrvollkornbrote oder der  „Wumba-Tumba-Schokoladen-Eisverkäufer“ – längst vergessen geglaubte Wegbegleiter durch diese Nachkriegsjahre kramt Klaus Modick hervor und sorgt beim 60+ Leser für eine kaskadenhafte Erinnerungsflut. Die Geschichte des 14- jährigen Markus, der sich in die gleichaltrige italienische Nachbarstochter Clarissa verliebt, trägt den Roman allerdings nicht ganz. Obwohl die Nöte des ersten Verliebtseins, die Enttäuschungen feinfühlig erzählt werden und auch durchaus für ein gutes Jugendbuch taugen, wirken die permanent eingestreuten Requisiten der Nachkriegsjahre doch auf Dauer wie Staffage und daraus gebastelten Geschichtchen manchmal etwas künstlich. Note: 2/3 (ün)<<

>>  Bilder speichern Erinnerung. Mit der Agfa-Klack des Erzählers taucht man nochmals ein in die eigene Kindheits- und Nachkriegsgeschichte.  Markus Geschichte ist eigentlich die Geschichte einer enttäuschten Liebe eines pubertierenden 14 Jährigen (großartig die Kinoszene) hinter der sich aber ein Kaleidoskop bundesrepublikanischer Mentalität zwischen unbewältigter Vergangenheit, Kalter-Kriegs-Paranoia und bürgerlicher Miefigkeit entfaltet. Das ist mit vielen zeittypischen Details (Schlager, Fernsehen, Kino, Werbung, Liebfrauenmilch etc.) zuweilen witzig und anschaulich beschrieben, bleibt aber vor allem einem „deja-vu“ Lesepublikum vorbehalten. Weniger Iwan-Trauma des Vaters, weniger Schlesiertreffen, weniger Markus handbetriebene „Lendenleistung“  und mehr auch sprachlich anspruchsvolle Metareflexion zur Fotografie hätte dem Roman gut getan.
Note:
2/3 (ai) <<

>>  Klack. Fünfzehn Mal macht es Klack, wenn die Agfa zuschlägt.  Das ergibt fünfzehn Kapitel beziehungsweise Fotos. Sie werden inhaltlich und formal gedeutet, teilweise sehr ansprechend und anspruchsvoll. Danach wird jeweils die fortlaufende Geschichte fortgesetzt. Die Geschichte eines pubertierenden Jungen in Zeiten des kalten Krieges, der Cuba-Krise, der Angst vor einem Atomkrieg. Eine breit dargestellte Familiengeschichte. Unterfüttert mit Schlagertexten, Werbung („Salamander lebe hoch“), Jugendsprache. Manchmal auch ein bisschen zuviel davon. Immer wieder erregt Markus, der Protagonist des Romans, mein Mitleid. Das Leben ist wirklich  oft sehr hart für ihn. Die Pubertät schenkt ihm nichts, im Gegenteil. Dabei gibt er doch alles. Ich sage nur Clarissa. Und seine Großmutter, au wei. Wie muss ich Dir, lieber Gott, dankbar sein, für meine Oma Kreszentia, mit der ich bis zu ihrem Tode 1963 unbeschwert unter einem Dach leben durfte. Leser/innen, die die Klack-Jahre bei Bewusstsein erlebt haben, werden sich an vieles erinnern und nicht selten schmunzeln. „Ramona, zum Abschied…..“, was werden da für Gefühle geweckt, aber eben nur für den, der Ramona kennt. Note:  2/3 (ax)<<

>> „Klack“ ist das Arbeitsgeräusch der Agfa Clack. „Klack“ entspringt einer auf dem Jahrmark gewonnenen Kamera in den Händen eines 15-jährigen, dessen verunglückte Motive das kleine Leben eines Pubertierenden einfangen. „Klack“ ist der fixierte Moment, ist die Erinnerung Jahrzehnte später – eine Erinnerung, die von der ergaunerten Weinflasche auf dem Mülleimer über die familiären Befindlichkeiten der Nachkriegsfamilie zur deutschen Wirtschaftswundernation bis hin zur globalen Atomkriegsfurcht leichtfüßig wandelt. Es sind die russischen Puppen von Bedeutungsebenen, die mühelos ineinander verschachtelt, eine literarisch gekonnte Architektur ergeben, mit deren Hilfe Modick in 15 Einzelbildern ein Stück subjektiver Zeitgeschichte inszeniert. Ernst und amüsant zugleich ist das Bühnenbild, so wahr und originell, weil schon fast vergessen, sind die Requisiten, bedenklich authentisch und liebenswert die Charaktere.
Markus hasst seine große Schwester Hanna, weil sie ihre Jugendzeitschrift Bravo nur unter gemeinen Auflagen mit ihm teilt. Sein Vater ist erträglich, wenn er sich nicht wieder in Russland-Feldzug-Episoden verfängt. Seine Mutter verblasst in häuslicher Rechtschaffenheit. Wie durch ein Wunder gelingt es ihr punktgenau in Momenten sich anbahnender Familien-Sturmtiefs die Schweigen-stiftende Tagesschau des Herrn Köpcke herbeizuzaubern. Mit tyrannischer Beharrlichkeit predigt dagegen seine Oma alt- und neu-rassistische Weltbilder. Ihre Ausfälle überschlagen sich schließlich als in das verfallende Nachbarhaus, das keinem Deutschen mehr zuzumuten ist, ein italienischer Vater mit seinen zwei Kindern einzieht. Seine Absicht, im Winter eine Eisdiele zu renovieren, entfacht größtes Misstrauen. Die im Freien aufgehängte Unterwäsche belegt die Italo-Unmoral und die fehlende Frau und Mutter – wenn auch verstorben – beweisen der Großmutter die vermeintliche Kulturlosigkeit des Spaghettivolkes. Entsprechend versucht die alte Dame mit einem Stacheldrahtzaun zwischen den Grundstücken das Gröbste abzuwehren. Als die Ausländer bei einem Hochwasserschaden ungebeten ihre Hilfe anbieten, lässt sie den Stacheldraht- durch eine noch weniger überwindbare Mauer ergänzen. Der großen Grenzziehung im Deutsch-Deutschen Verhältnis folgt Maßstabs-angepasst der kleine Nachbarschaftsgrenzwall. „Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen!“
Doch Omas Kreuzfeuer vermag das Herzensgefecht, das Markus zur Eroberung der italienischen Nachbarstochter mit allen Waffengattungen entfacht, nicht zu beeinflussen. Clarissa ist klasse, lässt sich aber nicht küssen. Trotz Gitarrenunterricht beim Vater und Malermühen in der renovierungsbedürftigen Eisdiele kann Markus keine ernstzunehmenden Landgewinne in ihrem Herzen melden. Das Leben kann so grausam sein, wenn nichts als die eigenhändige Fantasie unter verschwitzen Bettdecken Trost zu spenden vermag.
Währenddessen verklärt sich J.F. Kennedy als Berliner, droht mit Atomkrieg beim Anblick russischer Frachter vor Kuba, erschrecken Dachsirenen periodisch mit Alarmlärm, hält das Fernsehen und die ersten Pizzen Einzug in Privathaushalte. Der Untermieter wird nicht als ehemaliger KZ-Aufseher verhaftet, sondern weil er ganz neuzeitlich Rechnungen prellte. Die deutsch-französische Erbfeindschaft wird mit französischem Sprachunterricht in deutschen Schulen begraben und Hanna leistet mit erotischer Annäherung an einen französischen Dezernenten ihren Beitrag zur Völkerverständigung. Weniger Verständnis bringen dagegen die elterlichen Geschwister füreinander auf. So liegen die einen – verschlagen in die Ostzone und konvertiert zu braven Parteigängern – im Dauergefecht mit den anderen auf gleicher Verwandtschaftslinie, die ins schwule Bohememilieu Mallorcas auswanderten, um dort hemmungslos dem Kapitalismus zu frönen.
Dazwischen verströmt Markus. Unter dem jugendlichen Überdruck wiegt eine nicht erfüllte Liebe grenzenlos. All dies ist so gut nachzuvollziehen, als wäre es am Küchentisch des Lesers aufgeschrieben worden. Dutzende Requisiten erglimmen aus der Vergessenheit, nichts wird ausgespart. Die Schlager erklingen neu, der Melittafilterkaffeesatz- und Niveageruch steigen auf, das HB-Männchen hebt ab, während der Borgward Isabella einparkt. Gerade hier liegt auch eine entzaubernde Schwäche des Buches, das vor einem inflationären Gebrauch der Vergangenheitssymbole nicht zurückschreckt. Ebenso imponiert der Sprachduktus nicht in dem Maß wie das Konzeptgerüst des Buches. Dennoch ein vitalisierendes Werk mit jugendlicher Leichtigkeit, das darüber hinaus mit tiefgründigen Metabetrachtungen zur Fotographie überrascht. Note: 2– (ur)<<