Die Verwandlung- Franz Kafka

Die Verwandlung Kurt Wolff Verlag  Leipzig 1916, 91 Seiten.

>> Durch einen der ungeheuerlichsten ersten Sätze der Weltliteratur konfrontiert uns Kafka mit der Verwandlung des Handlungsreisenden Gregor Samsa zu einem Ungeziefer. Was auf 90 Seiten folgt, ist tausendfach schon nach allen Regeln der Kunst interpretiert worden. Extreme, ja groteske Verweigerung der entfremdeten Arbeit, das revoltierende Unterbewusste, die Verkörperung des Nutzlosen durch die Käfergestalt, Kritik an der väterlichen Autorität, Entlarvung latent bedrückender, von Lieblosigkeit und Ausbeutung geprägter Familienverhältnisse. In der Krise werden die Bindungen der Familie zu dem als Ungeziefer zwar abstoßenden, aber letztlich doch harmlosen Mitglied nach und nach gekappt, bis „das Untier“ glücklicherweise in einem Akt der Selbstaufopferung seinen letzten Atemzug macht und dann rasch entsorgt wird. Das Zimmer, in dem die Familie Gregor hält, wird zum Sinnbild seines inneren Zustands, seiner Seele. Notdürftig und angewidert mit Nahrung versorgt, Kommunikation nur über einen kleinen Türspalt und nur in einer Richtung. Gregor wird nicht mehr verstanden. Selbst die Schwester, die aus nicht ganz uneigennützigen Gründen als einzige zu ihm in sein Zimmer geht, vernachlässigt die Reinigung des Zimmers immer mehr und lässt schließlich entschlossen die ganzen Möbel aus dem Zimmer räumen, was einem Ausräumen seiner Identität, seiner Entmenschlichung gleichkommt. Die Schwester, die sich mit der Hoheitsgewalt über Gregors Zimmer von den Eltern emanzipiert, gibt schließlich auch das Signal zur Endlösung der Ungezieferfrage. „Wir müssen versuchen, es loszuwerden“. Das „Zeug“ wird entfernt. Die Assoziation zum Genozid der Nationalsozialisten, die  20 Jahre später auch Menschen wie Ungeziefer beseitigt haben  ist vielleicht etwas gewagt, aber keineswegs abwegig. Kafkas nüchterne, quälend sachliche Sprache kontrastiert mit dem grotesken, albtraumhaften Inhalt, der den Leser soghaft in die Abgründe der menschlichen Psyche und auch der gesellschaftlichen Verhältnisse blicken lässt. “ Wie aber, wenn jetzt alle Ruhe, aller Wohlstand, alle Zufriedenheit ein Ende mit Schrecken nehmen sollte?“ sinniert Gregor Samsa einmal. Wie passend zu den Erschütterungen der so genannten Finanzkrise! Note: 1– (ün)<<

>> Schon mit dem ersten Satz in den Sog der so sachlich beschriebenen Käferperspektive Gregor Samsas eingefangen. Dieser Keulenschlag der Animalisierung offenbart wohl den  radikalsten Protest des Unbewussten gegen entfremdete Arbeits- und Familienverhältnisse. Der Handelsreisende Gregor, der „Plage des Reisens“ müde, der Sohn , nach dem Konkurs des Vaters der Alleinversorger der Familie, setzt mit dem Augenblick seiner Entstellung einen Prozess in Gang, der auch seine Umgebung zu Kenntlichkeit entstellt. In der falschen Annahme, Gregor habe auch jede menschliche Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit verloren- da sie ihn nicht verstünden, verstünde auch er sie nicht – bleibt Gregor mit dem Bild der pelzbesetzten Dame in der Welt des Kriechens isoliert. Einzig die anfängliche Versorgung und Zuwendung durch die Schwester bildet noch eine Brücke zwischen Familien- und Ungezieferwelt. Während die Mutter dem Schicksal des Sohnes nur mit sprachloser Weinerlichkeit zu begegnen vermag, kennt der Vater nur das Mittel der Aggression . Mit fortschreitender Dauer löst jedoch Gregors Verwandlung auch bei Vater und Tochter eine auf den ersten Blick gewiss weniger spektakuläre Verwandlung aus. Jetzt, da Gregor als Familienversorger ausfällt, erwacht der Vater plötzlich aus vermeintlicher Hinfälligkeit und Lethargie und der Leser gewinnt den Eindruck, dass sich die gesamte Familie am Versorgungsinstitut des Sohns schadlos gehalten hat. Dass die wundersame Wiederherstellung der familiären und beruflichen Autorität des Vaters sich äußerlich in einer auch im Schlafe nicht abgelegten „Dieneruniform“ manifestiert, zeigt die Brüchigkeit dieser Vaterautorität. Die wohl deutlichste Veränderung vollzieht sich in Gregors Schwester. Nachdem ein kleines Violinintermezzo im Kreise der Familie mit drei reichlich skurrile Zimmerherren, das Gregor aus seinem Versteck ganz in die Nähe der Schwester lockt, im Desaster endet, steht der Entschluss der Schwester fest. Erst ihr: „wir müssen versuchen, es loszuwerden“ führt zur Selbstaufgabe Gregors.

Was folgt, ist eine letzte, wahrlich märchenhafte, Verwandlung der Restfamilie. Gregor Samsas Tod löst einen Akt grotesk pulsierender Befreiung aus: statt Arbeiten – Ausruhen und Spazierengehen, Entlassung der Bedienerin nach der Entsorgung des Zeug(s)“, es folgt die emotionale Befreiung: Herr Samsa wird durch „seine Frauen…liebkost.“ Zugleich öffnen sich die  Räume, es geht hinaus „mit der Elektrischen ins Freie“, man bespricht „Aussichten für die Zukunft“ und nur der Leser, der sich angesichts der Schlusssätze des Keulenschlags des 1. Satzes erinnert, sieht in den erotisch aufgeladenen „neuen Träumen und guten Absichten“ der Eltern Samsa im Hinblick auf die Tochter hinter dem vordergründigen Gebrüder-Grimm-Schluss den neuen Abgrund.
Man sollte diese Erzählung auf dem Rücken liegend lesen und nur aufpassen, dass sich kein Besen zeigt: Note: 1– (ai)<<

>>Als 29-jähriger schreibt Kafka Die Verwandlung in einer Lebensphase, die bereits von Gemütsschatten verdunkelt ist. Vom Berufsbeamtentum trotz beflissentlichem Fleißes in der Versicherungsanstalt angewidert, vom Vater als Über-Ich nie befreit und schließlich von der aufgedrängten Teilhaberschaft an der ruinösen Asbestfabrik seines Schwagers an den Rand des Suizids getrieben, verfasst Kafka die Parabel. Die Verwandlung erscheint als hoffnungslose Fluchtbeschreibung aus der unerträglichen Bedrückung des menschlichen Pflichtalltags. Es ist die schicksalhafte, unbeeinflusste Wandlung zum Tier, dass naturgemäß nicht am betrieblichen Dasein der Menschheit teilnimmt und damit befreit ist von erdrückenden Ansprüchen anderer. Es ist aber eben auch die Wandlung zum überdimensionierten (denkenden) Insekt, das in seiner hybriden animalisch-menschlichen Zwischenform keine Existenzgrundlage hat. Entsprechend trägt die Metamorphose von Anbeginn nekrotische Züge, die unvermeidbar in der Selbstauflösung endet.

Teil I – Die Verwandlung und ihre Offenbarung. Gregor Samsa findet sich eines Morgens beim Aufwachen in einen riesigen Käfer verwandelt. Verwirrt aber nicht verzweifelt über die Metamorphose zum Ungeziefer nimmt er zwar seine zappelnden sechs Beinchen wahr, sorgt sich aber vor allem, wie er seinen beruflichen Anforderungen als Vertreter ordnungsgemäß und pünktlich nachkommen kann, hat er doch verschlafen. Während die Eltern hinter der verschlossenen Tür zur Eile mahnen, kämpft Gregor mit der Unförmigkeit seines gewaltigen Chitinpanzers, der das Aufstehen aus der Rückenlage fast unmöglich macht. Erst als der Prokurist der Firma erscheint, um sich über Gregors Verspätung zu beschweren, gelingt Gregor das Aufstehen und schließlich das Öffnen der Zimmertür. Helles Entsetzen und die Flucht des Prokuristen sind die prompte Reaktion. Gregor empfindet Schuld und versucht seine Loyalität der Firma gegenüber auszudrücken, doch werden seine Laute nur als animalisches Piepsen wahrgenommen. Die im Insekt noch erhaltenen menschlichen Gedankengänge kann Gregor Samsa nicht mehr verständlich artikulieren. In befremdlicher Weise empfindet er die Furcht seiner Familie als beruhigende Anteilnahme, fühlt er sich dadurch doch „wieder einbezogen in den menschlichen Kreis“. So macht Gregor dem Vater auch keinen Vorwurf, als dieser ihn in sein Zimmer so zurücktreibt, dass er sich schwer verletzt.

Teil II – Der verwandelte Familienumgang. Die Familienmitglieder stellen sich mit unterschiedlichen Grundhaltungen auf das entmenschlichte Familienmitglied ein. Der Vater verhärtet in seiner abweisenden Haltung und scheut auch vor physischer Gewalt nicht zurück. So treffen den Käfer Äpfel als Wurfgeschosse, die im Panzer stecken bleiben und zu chronisch-schmerzhaften Entzündungen führen. Die Mutter lässt zwar eine Anteil nehmende Verbundenheit mit ihrem verwandelten Sohn erkennen, andererseits ist jedoch ihr Ungeziefer-Ekel so überwältigend, dass der Zwiespalt zwischen beiden Kräften wiederholt zur Ohnmacht und damit zur Untätigkeit führt. Schwester Grete bewahrt zunächst mit einer gewissen Unerschrockenheit eine emotionale Nähe. Sie ergründet die veränderten Essgewohnheiten des Käfers, um ihn die nächsten Wochen als Einzige zu versorgen. Gregor bleibt bemüht rücksichtsvoll und zieht sich unter das Kanapee zurück, sobald die Schwester eintritt, um ihr den belastenden Anblick zu ersparen. Bezeichnenderweise ist Gregor zu keiner Zeit über die eigene Käfertransformation verzweifelt. Anfänglich klingt Gregors Vorstellung an, dass er wieder arbeiten wird, nicht aber, dass er das Käferdasein in jedem Fall überwinden will. Gregor hinterfragt die Metamorphose nicht, ihr Ursprung wie auch ihre Überwindung werden nicht thematisiert. Konsequenterweise wird von Gregor seine Verwandlung auch nicht als Strafe empfunden, denn dazu bräuchte es eine Verfehlung als Ausgangspunkt. Obwohl Gregor zu keinem Zeitpunkt aufbegehrt, wird sein Sein von den anderen letztlich als feindlich empfunden.

Teil III –Ableben und Familienwandel. Im Laufe der Wochen schreitet die Entfremdung zwischen der Familie und dem Käfer Gregor voran. Auch in Gregor setzt sich die innerliche Metamorphose fort. Gregor verkäfert langsam, verliert seine Anteilnahme und Rücksichtnahmen auf die Besonderheiten der Familie. In dem Zimmer, welches Gregor nach wie vor bewohnt, greift die Verwahrlosung um sich. Als paradoxe Geste der desinteressierten Anteilnahme lässt die Familie allabendlich die Zimmertür einen Spalt geöffnet, so dass Gregor aus dem Dunkel am Familienleben teilhaben kann. Als seine Schwester vor Vermietern ein kleines Violinenkonzert gibt, wird in Gregor die Verbundenheit zu seiner Schwester wieder wach – war er es doch, der seiner Schwester das Konservatorium ermöglichen wollte. Angezogen durch die Musik drängt der Käfer zum Grauen der Anwesenden in das Zimmer. Die Folgen sind gravierend. Die Mieter kündigen, das letzte Band der Schwester zu ihrem Käferbruder zerreißt, und die Familie beschließt alle Rücksichtnahme aufzugeben. Für Gregor ist es das Todesurteil, das schon wenig später Gregor das Leben aushauchen lässt, ohne dass es einer Tat bedurft hätte. Das Wissen, nicht mehr gewollt zu sein, nimmt ihm die Lebenskraft fern jeder Traurigkeit. In der Folge erlebt die Familie eine Verwandlung zum Leben hin. Der Vater gibt die unterwürfige Ehrerbietung den Vermietern gegenüber auf; die einander letztlich fremden Vater, Mutter und Tochter rücken in ihrer Betroffenheit zusammen und vergießen gemeinsam Tränen; wie noch nie bleiben alle drei der Arbeit fern, um sich auf einem Spaziergang der Sonne zuzuwenden und vielleicht einen Mann für die Tochter zu finden.

Es ist ein nahe liegender und zugleich befremdlicher Schluss, der Gregor Samsa zum wiederholten Male zum Opfergeber werden lässt. Am Ende scheint er freiwillig aus seinem und damit aus dem Leben der Familie zu treten. Schon zu Lebzeiten hatte er sich aufgeopfert um für die gesamte Familie den Unterhalt in einer aufzehrenden Anstellung zu verdienen, während vor allem der Vater vorgab, arbeitsunfähig zu sein. Erst als Gregors Käferdasein das weitere Auskommen der Familie gefährdet, zeigt sich, dass in der Tat alle drei einer geregelten Arbeit nachgehen können. Dennoch bleibt Gregor ohne jeden Zorn – ja, es beruhigt ihn geradezu, dass die Familie einen Ausweg gefunden hat.

Was also ist Gregor? Vielleicht jener Gemütszustand, wenn man auf dem Rücken liegend wie ein Käfer dem unwirtlichen Leben hilflos ausgeliefert scheint. Gerade das mag den Abscheu der Zuschauenden erregen, so dass die letzte Hoffnung schwindet und der Mensch nichts sehnlicher wünscht als im Nichts zu vergehen. Note: 2 – (ur)<<

 

>>Lieber Gregor,

Dich hat es hart erwischt.
Auf dem Rücken liegst Du, zappelnd.
Schwer erwischt. Das kann nicht nur vom Träumen kommen.
Was kann und vor allem was soll ich Dir sagen?
Du spürst ja selbst, lange wird es nicht mehr gehen.
Vielleicht hättest Du früher mal auf den Tisch schlagen sollen, eins, zwei, drei.
Jetzt ist es zu spät.
Dein Alter ist und war ein Kotzbrocken, aber von Deiner Schwester hätte ich mehr erwartet.
Mit meiner Schwester habe ich echt mehr Glück. Die hat mich immer umgedreht und überhaupt.
Zu Deiner Mutter sage ich gar nix. Da habe ich eher Mitleid.
Du spürst ja selbst, lange wird es nicht mehr gehen und wahrscheinlich ist es auch besser so.
Malgré tout, so gut kenne ich Dich inzwischen, Du wirst es in Würde hinter Dich bringen.

Dazu  meine guten Wünsche
Deine

Max und Milian
Note: 2 (ax)<<