>> Kann die Begegnung mit dem Fremden, dem ganz Fremden, verrückt machen? Wenn zu viel fremd ist, zu viel verrückt erscheint, kann es soweit kommen. Kapitän Marlow könnte dafür ein Beispiel sein. Bei seiner Fahrt auf dem schwarzen Fluss ins Herz des afrikanischen Kontinents verrücken alle Maßstäbe. Marlow soll den zum Tyrann gewordenen Handelsagenten Kurtz finden und wegbringen. Seine Begegnung mit Kurtz wird zum Albtraum.
Vieles mehr in und an diesem Buch ist albtraumhaft. Ich hatte es nicht leicht mit ihm. Nach der Lektüre habe ich den Afrikaurlaub 2013 abgesagt. Das ist sicher keine Lösung, ich rufe auch nicht dazu auf, ganz im Gegenteil. Fahren Sie ruhig nach Afrika, Sie sind sicher noch jünger und wagnisbereiter. Joseph Conrad, das spürt man beim Lesen, war kein Optimist. Optimisten sind die, die es angeblich leichter haben im Leben, das Leben, für das dieser Schriftsteller in den letzten Sätzen seines Buches folgende Metapher findet: „Es ist ein Wald, in dem niemand den Weg kennt. Man ist verloren, während man noch ruft: „Ich bin gerettet!“
Ich werde noch vorsichtiger sein müssen mit dem Rufen im Walde. Note: 2– (ax) <<
>>Charles Marlow schippert mit seinen Freunden auf der Segelyacht „Nellie“ vor London. „Auch London war mal Finsternis“ raunt Marlow seinen Freunden zu und erzählt in einem eindringlichen Rückblick seine Erlebnisse auf einem Dampf-schiff, mit dem er einst den Kongo bereist hat. Er ist im Auftrag seiner Gesellschaft auf der Suche nach dem legendären Elfenbeinhändler Kurtz, einem Statthalter des Kolonialismus. Er dringt auf dieser Reise immer weiter „ins Herz der Finsternis“ , in vorzivilisatorische Regionen vor, in denen Menschen jenseits der Fesseln der Kultur in einem anomischen Zustand der Wildheit leben. Marlow ist abgestoßen und fasziniert zugleich. Er reist durch eine Urzeit der Menschheit, die kaum eine Spur und keinerlei Erinnerung hinterlassen hat. Er erschauert vor der Tatsache, mit einem Zipfel seines Wesens mit diesem tobenden Aufruhr verwandt zu sein. Je mehr er in die Tiefen des Urwaldes vordringt, desto mehr dringt er in die Abgründe der menschlichen Seele vor.
Der sagenhaft, todkranke Kurtz wurde nach Marlows fester Überzeugung in die Wildnis gezogen, weil sie verschollene, unmenschliche Begierden in ihm weckte, deren Befriedigung ihn dann umso fester an diese Wildnis kettete. Kurtz, von den „Wilden“ gottgleich verehrt, konnte hier über die Grenzen des Erlaubten hinausgehen, einer werden, der „keinerlei Schranken mehr kannte“. Mit sich selbst alleine, hatte Kurtz in der Wildnis in sein Innerstes geschaut. Und dies hat ihn zerstört. Seine letzten Worte : „ Grauenvoll, Grauenvoll!“ Die Finsternis hatte Kurtz letztendlich besiegt.
Conrad unternimmt mit Marlow eine Reise ins Freudsche „Es“ , hinab zu den Urinstinkten, ins Animalische , zum Ungezähmten, Rohen und zeigt, wie hauchdünn und verletzlich die zivilisatorische Errungenschaft einer Trennlinie zwischen dem noch akzeptablen und dem unmenschlichen ist.„Der Mensch ist ein bösartiges Tier“ (J.Conrad). Note: 2 (ün)<<
>>In seinem 1902 veröffentlichten Roman schildert Conrad eine Reise in die Tiefen Afrikas, die auch und vor allem eine Reise in die Abgründe der Seele ist. Das Herz der Finsternis sind die geschwürartig sich ausbreitenden Gräuel der Kolonialherrschaft, Gräuel die immer auch aus der Finsternis einzelner hervorgehen. Eine moralische Finsternis, die zudem eine magische Anziehungskraft ausübt und ihre Potentaten mit einer blendenden Aura umgibt.
In einem langen Monolog erzählt Kapitän Marlow von seiner denkwürdigen Reise als Kapitän eines Binnenschiffs, welches sich über den riesigen Strom in die Kolonialgebiete durchkämpft. Marlow erlebt die von der europäischen Herrschaft zu Grunde gerichteten Schwarzen in den Todesstreifen entlang des Kongo Flusses. Marlow entgeht auch nicht die Niederträchtigkeit, die die Weißen untereinander in Intrigen, Machtkämpfen und Geltungsdrang offenbaren.
Seine Aufgabe ist es, Außenstationen zu versorgen, den Abtransport des Elfenbeins zu bestellen und den Informationsfluss zu erhalten, um die Macht der Zentrale zu gewährleisten. Ein ausnehmend erfolgreicher Außenposten wird von dem ehrgeizigen, visionären Beamten Kurtz geleitet. Kurtz ist unter den Kollegen gefürchtet, weil er ihre Karrieren gefährdet. Kurtz ist zunächst mit humanistischen Konzepten bei der Zivilisierung der Eingeborenen hervorgetreten. Später wird er trotz fehlender personeller Unterstützung zum mit Abstand erfolgreichsten Lieferanten von Elfenbein. Das Rezept seines Erfolgs ist ein Wandel hin zum selbst inszenierten Halbgott unter benachbarten Urwaldstämmen, die ihn in bedingloser Hingebung huldigen. Die Zaunpfähle seiner Umfriedung sind mit Totenköpfen geziert. Die Möglichkeit unbeschränkter Machtausübung hat ihn zum Tyrannen mutieren lassen, zum Tier animalisiert, das keine Grenzen kennt in der Erniedrigung anderer und Überhöhung des eigenen Ichs.
Marlows beschwerliche Reise verläuft langsam, ebenso langsam aber nachhaltig verdichten sich die Gerüchte um die Person Kurtz, die in unerklärlicher Weise eine Faszination auf ihn ausübt. Wie ein infektiöser Virus, der die inneren Abwehrlinien durchbricht und Grundlegendes im Menschen ins Gegenteil verkehrt. Geklärt werden die kausalen Zusammenhänge nicht. Marlow berichtet weitgehend trocken, bisweilen anklagend von den Einzelheiten der kolonialen Unterdrückung, sinnleeren Ritualen und der Vordergründigkeit zweifelhafter Wertmaßstäbe.
Die Fahrt führt ihn zunächst von Europa an die zentralafrikanische Küste, gefolgt von einem hunderte Kilometer langen zermürbenden Fußmarsch bis an den großen Strom, den sich sein altersschwacher Kutter fortan hinaufquälen wird. Vegetierende Kontrollstationen, inkompetente Beamte, völlig lautlose Wildnis mit dem Schweigen des Lebens nach dem Tode, zwangszivilisierte Schwarze als Heizer, die mit Kupferdrähtchen entlohnt werden, also einer Währung, die im Dickicht keinen Tauschwert hat. Ein absurder, fast kindischer Angriff mit zermürbendem Wehgeheul im absoluten Nebel, Leckagen, Brennstoffmangel, zürnende schwarze Hungermannschaft, die als gebürtige Kannibalen den Leichnam ihres Kollegen fordert. Auch hier herrscht Finsternis, doch wirkt dies wie eine evolutionäre Dunkelheit, die wie die Natur weder Schuld noch Unschuld kennt, sondern einfach nur ist.
Am Ende erreichen Sie die Außenstation, wo der todkranke Kurtz zusammen mit Massen seines Wildtiergoldes an Bord genommen wird, verzweifelt beweint von den Wilden, die die Inkarnation des Göttlichen verlieren und durch den hilflosen Angriff versuchten, dies zu verhindern. Doch die Schiffsmaschine spuckt nicht nur Dampf und ihre Seelen zerreißende Sirenentöne, sondern treibt auch den Verlauf des Schicksals voran. Wenig später erliegt Kurtz einer unbekannten Erkrankung mit den vernichtenden Worten über sein Leben: „Grauenvoll, grauenvoll“ – angewidert von seinem Herz der Finsternis.
Marlow kehrt nach London mit Briefen zurück, die er der Braut von Kurtz übergibt. Bei der Frage nach Kurtz letzten Worten belügt Marlow sie – es sei angeblich ihr Name gewesen, was sie zutiefst berührt. Im Laufe der Zeit ist Marlows Erinnerung an Kurtz zunehmend verblasst. Am Ende bleiben noch nicht einmal seine reuevollen Worte. Alles, auch die Grausamkeiten sind vergänglich. Die Zeit frisst still jede Gegenwart.
Ein kritischer Roman aus der vorherigen Jahrhundertwende. Begrenzt im Umfang aber mit Längen; auch mit Spannung aber nicht immer mit nachvollziehbaren Verknüpfungen. Note: 2/3 (ur)<<
>>Was Charlie Marlow, „der noch immer zur See fährt“ nächtens seinen vier Zuhörern auf dem Deck eines in der Themsemündung liegenden Dampfers erzählt, ist weit mehr als der Bericht seiner Expedition, die er in Diensten einer französischen Handelsgesellschaft nach Zentralafrika (der Name Kongo fällt nicht) vor Jahren unternahm. Seiner jugendlichen Faszination folgend, jenen „gewaltigen Fluß, den man auf der Landkarte sehen konnte und der einer riesigen, sich aufringelnden Schlange glich deren Kopf im Meer…und deren Schwanz sich in den Tiefen des Kontinents verlor“, als Dampferkapitän zu befahren, bricht er dorthin auf, wo man nach Ansicht seiner die Anstellung vermittelnden Tante die „unwissenden Millionen von ihren entsetzlichen Bräuchen abbringen müsse“. Marlow, der schon einleitend die Taten römischer Legionäre auf der britischen Insel als das beschreibt, was sie aus einer Sicht waren – „Es war schlicht Raub unter Gewaltanwendung, Mord unter erschwerten Umständen in großem Stil“ – begibt sich auf eine Reise, die ihn in verschiedenster Form in das Innere einer Finsternis führen sollte. Kurz währt der erste eher bewundernde Eindruck der „schwarzen Burschen“ mit dem „Weiß ihrer Augäpfel“: „eine wilde Vitalität, eine ungeheure Energie lag in ihren Bewegungen…..Sie bedurften keiner Rechtfertigung ihres Daseins. Sie anzusehen war eine rechte Labsal“. Doch schon bald sollten sich Marlows „Schreckensahnungen“ bewahrheiten. Französische Kriegsschiffe, die blindlings auf vermutete Eingeborenen-Lager feuern („eine Spur von Irrsinn“), die Niederlassung seiner Handelsgesellschaft ein bizarres Szenarium von Negersklaven in Ketten beim Eisenbahnbau und „todgeweihten Gestalten“, die Marlowe begreifen lassen , dass er in diesem Lande „Bekanntschaft mit einem schlappen, eingebildeten, kurzsichtigen Teufel raubgierigen und erbarmungslosen Wahnsinns machen würde.“ (26). Während namenlose Figuren wie der Hauptbuchhalter der 1. Niederlassung (nur seine Bücher waren „in Ordnung“), der Direktor der Zentralstation und sein Agent in der Mischung von pflichtbewusst, dümmlich, arrogant, hinterlistig eher ein weißes Schattendasein führen, nimmt die vielschichtige zentrale Figur des „erstklassigen Agenten Kurtz“ (erstmals auf S. 30 erwähnt) allmählich Gestalt an. Dabei erscheint Kurtz in den Schilderungen Marlows zunächst als ein für das die Handelsgesellschaft äußerst erfolgreicher Elfenbeinhändler mit Aussicht auf eine große Karriere, der fettwanstige Direktor der Zentralstation verhöhnt ihn gar als Gutmenschen: „Jede Station sollte wie ein Leuchtfeuer auf der Straße zum Besseren sein, ein Zentrum des Handels, freilich, doch auch ein Zentrum der Gesittung, der Höherbildung, der Unterweisung .“ Als dann nach einer abenteuerlichen Flußdampferfahrt zu Kurtz Station derselbe erstmals erscheint , blickt Marlow im doppelten Sinne in die Mächte der Finsternis. Kurtz, den die Internationale Gesellschaft zur Unterdrückung primitiver Bräuche „eigens mit der Ausarbeitung eines Berichts betraut hatte, der ihr zur Orientierung für die Zukunft dienen sollte“, ist von einer tödlichen Krankheit gezeichnet. Körperlicher Verfall und Wahnsinn scheinen das Ergebnis seiner Mission zu sein. Zeigen Pfahlreihen aufgespießter vertrockneter Köpfe von Schwarzen um seine „Elendshütte“ barbarische Grausamkeit , so verraten Voodoo-Zauber und Verehrungsgesten einer nicht näher charakterisierten wilden und prächtigen Frauenperson („Sie war primitiv und herrlich. Funkeläugig und grandios“), die mit Schattengestalten ihres Stammes Kurtz Abschied betrauert, ja sogar zu verhindern sucht, Züge göttlicher Verehrung. Kurtz 17seitiger Bericht, den Marlowe nach dem Tod von Kurtz öffnet, offenbart den Zwiespalt seiner Person. Ist er zunächst davon überzeugt die Weißen müßten „den Wilden“ wie „übernatürliche Wesen vorkommen“, die „eine schier unbegrenzte Macht zum Guten ausüben (könnten)“, so endet sein von ihm selbst als „Flugschrift“ bezeichneter Bericht mit dem Appell „Rottet all diese Bestien aus“. In den Abgrund auch seiner eigenen Seele muss Kurtz nach Jahren in der Wildnis geschaut haben. Zivilisatorisches und Barbarisches vermischen sich und vom Bild des erfolgreichen Agenten bleibt, nun, da er auf dem zurückkehrenden Flußdampfer stirbt, der „Ausdruck düsteren Stolzes, unbarmherziger Gewalt, feigen Entsetzens“ und die letzten nur noch dahin gehauchten Worte: „Das Grauen, das Grauen“: Ein warnendes Vermächtnis für alle weißen Beutegeier.
Warum Conrad den Blick in die Finsternis zum Schluss nochmals ins Herz der „Zukünftigen“ von Kurtz lenkt, der Marlowe das falsche letzte Wort des in der Wildnis Begrabenen überbringt, bleibt für mich rätselhaft. Note :2/3 (ai)<<