Kein & Aber 2020 | 284 Seiten.
<< Vier Freundinnen, Adele, Jude, Sylvie, Wendy,vierzig Jahre Freundschaft, inzwischen siebzig plus mit den dazugehörigen Altersmalaisen.
Durch Sylvies Tod vor elf Monaten ist aus dem Quartett ein Trio geworden. Symmetrie futsch. Am Weihnachtswochenende im australischen Sommer räumen die Überlebenden Sylvies Sommerhaus am Meer. Es soll verkauft werden. Dabei ist auch Hund Finn, den Sylvie vor elf Jahren Wendy geschenkt hat, als deren Mann Lance gestorben war und sie sich in einer tiefen Krise befand. Jude und Adele hassen den altersschwachen Sabber-Bello, der seinem imperativen Harn- und Kackdrang nicht mehr gewachsen ist. Ein omnipräsentes Memento Mori, dessen Einschläferung permanent gefordert wird. Die vier Frauen sind charakterlich recht verschieden und haben sehr unterschiedlich gelebt. Was sie solange zusammengehalten hat, bleibt für mich offen. Sylvie scheint die integrative Kraft, der Kitt der „Viererbande“ gewesen zu sein. Jetzt zeigen sich immer mehr zentrifugale Tendenzen, das „Gummiband“ weitet sich. Jude, Gastronomin und geborenes Alphatier, konnte alle Dinge, die man liebte, durch ihre Berührung „in Scheiße“ verwandeln. Adele, eine extrem körperbetonte Schauspielerin, inzwischen ohne Aufträge aber in Geldnöten. Ihre auffallenden Brüste werden so oft erwähnt, dass ich sie (pssst…) gern live gesehen hätte. Wendy mit Uni-und Publikationskarriere, war mit der Betreuung ihrer beiden Kinder wenig erfolgreich. Das bekommt sie jetzt zu spüren. Manches Mal schrammt der Roman am Kitsch vorbei. Beispielsweise beim Besuch der Christmette. Der Roman regt an, über das Warum von Freundschaften nachzudenken. Wie sind sie entstanden,warum haben sie (aus)gehalten oder auch nicht? Bei der Suche nach belastbaren Antworten bin ich
schneller als gedacht an Grenzen gestoßen. Der Roman endet mit einem gemeinsamen Bad im Meer. Die Kraft des Wassers. „La mer m‘a donné une carte de visite“ von George Moustaki fiel mir ein. Stilbrüche lassen vermuten, dass eine Schreibwerkstatt am Werk gewesen sein könnte. „Dieses Buch hat viele Unterstützer“ beginnt Charlotte Wood ihre umfängliche Danksagung. Note : 2/3 ( ax) <<
>> Eine 40jährige Freundschaft von vier Frauen, inzwischen alle über 70, die sich nach dem Tod von Sylvie für drei Tage an Weihnachten in deren Strandhaus treffen. „Nehmt euch, was ihr wollt, betrachtet es als Ferien“, so die Bitte der inzwischen nach Dublin zurückgekehrten Lebenspartnerin Gail. Sylvies Haus soll verkauft werden, es gilt alles auszuräumen. Die aus wechselnder Erzählperspektive beschriebene Anreise- je ein Kapitel – von Wendy, Jude und Adele sind der beste Teil des Romans. Er macht klar, dass es vor allem zwischen diesen Frauen einiges auf- und auszuräumen gibt, erfahren wir doch, welch unterschiedliche Charaktere da zusammenreffen. Die Gastronomin mit hohem Entsorgungstalent, die deutlich vom Alter gezeichnete Buchautorin – über 282 Seiten treu begleitet von ihrem dementen und tauben Hund Finn, die ehemals erfolgreiche Schauspielerin, immer noch einen Hauch flippig, wenn auch finanziell klamm, aber wie mehrfach betont, mit nach wie vor ansehnlichen Brüsten. Mir scheint wichtig, dass uns die Erzählerin schon früh mitteilt, nicht nur die Fahrten in Sylvies Haus waren „Tradition“, auch Jude lädt jährlich am Wochenende vor den Weihnachtstagen die Frauengruppe zu Tisch. Dabei gilt auch hier ein wichtiges Ritual: Judes Pavlova mit den getränkten Pflaumen. Sie sollten uns bedeutungsschwanger später noch begegnen. Bedeutungstrivial dagegen die Assoziation mit den geviertelten Feigen, die Jude im zurückliegenden Jahr auf der Pavlova servierte. Eine Woche zuvor nämlich hatte die damals 71jährige Adele ihre neue Liebhaberin Liz zum erstenmal geküsst. „Und dann hatten die Feigen, die so schamlos und offen dort lagen, ein neues Kribbeln in ihr ausgelöst, als sie sich eine in den Mund steckte. Zuerst war da die trockene äußere Haut auf ihrer Zunge, danach das weiche, süße Innere“(63) So viel Genauigkeit hätte ich mir bei der Klärung der Beziehungen dieser vier Frauen in der Vergangenheit gewünscht um die reale Entfremdung nach Sylvie Tod zu verstehen. Warum „hatte Sylvies Tod merkwürdige Schluchten der Distanz zwischen sie getrieben“? Zu viert „waren sie symmetrisch“- „jetzt passten sie nicht mehr zusammen“, Sylvie und Wendy hatten doch bis zuletzt eine Beziehung, Gail als Dritte im Bunde eingeschlossen, Jude und Adeles Beziehung wird beschränkt sich auf Andeutungen (S.87). So bleibt von 40jähriger Freundschaft und Nähe nur noch das „ausgeleierte Gummiband“. Die Begrüßungsatmosphäre im Räumungsdomizil bestimmt den Ton: „gequälte Freundlichkeit“. Es dominiert Doppelbödigkeit, es wird anders gedacht als gesagt, es konkurrieren Altersflecken und Verfall mit Streckübungen am Strand, Ordnungssinn und Müllentsorgung mit Anzeichen der Verwahrlosung, die Designercouch und die Dauerprojektionsfläche einer Hundekreatur. Man schnüffelt in Kulturbeuteln, spricht aber nicht offen über Schwächen. Empathie in diesem Hause dreier Freundinnen(?) – Fehlanzeige. Stattdessen Eitelkeiten, Missgunst, Verstellungen, gar Kränkungen. “Oft und das war bei weitem das Schlimmste an Wendy, konnte man sogar das Fehlen der einen Brust sehen“. Es ist der rasch wechselnden Erzählperspektive geschuldet (hoppla, wer ist jetzt eigentlich „sie“), dass in diesem Roman fast nicht miteinander sondern übereinander gesprochen wird. Lebensperspektiven, Einsamkeit, Alter, Krankheit zentrale Themen vergeigt, stattdessen Schweigen bzw. Verschweigen von Wesentlichem. Die 37jährige Beziehung der Feministin Jude zum verheirateten ehemaligen Westpac-Vorstand Daniel Schwarz wird tabuisiert, das Geheimnis um Sylvies Doppelrolle wird von Adele als dramaturgischer Höhepunkt erst sehr spät gelüftet. Donner und Blitzeinschlag kündigen ihn melodramatisch an. Wendys Geliebte Sylvie hatte auch eine jahrzehntelange Beziehung mit Wendys verstorbenem Freund Lance. Was in diesem Zusammenhang das „Ding vom Strand“ (die widerliche Masse begegnet uns mehrfach) zu bedeuten hat, kann uns wahrscheinlich nur die australische Schreibwerkstatt erläutern. Unter Beachtung einer intensiven Hund-Mensch Beziehung ist dagegen nachvollziehbar, dass sich nach Adeles Enthüllung Ersatzlance Finn (er ist nach dem Tod von Lance eine Geschenk Sylvies an Wendy) auf Judes Designercouch vom Hühnerfleisch entleert.
Eine Episode, die als großartiges Schauspiel beginnt, sollte an dieser Stelle hier nicht unerwähnt bleiben, weil sie auch literarisch furios gestaltet ist. Das zufällige Zusammentreffen der beiden Bühnenrivalinnen Adele und Sonia Dreifus hat – ich greife zu Reich Ranickis Überhöhung – Shakespearesches Niveau (Streit der Königinnen Maria Stuart/Elisabeth). Das ist unterhaltsames Theater vom feinsten. Was jedoch daraus im letzten Akt folgt, ist bestenfalls Schmonzette (G.H.), eher saurer Kitsch. Die Dynamik nimmt ungewöhnlich Fahrt auf. Der schwule in Schaffenskrise befindliche Joe Gillespie und seine alternde verheiratete Gespielin Sonia , die abendliche Essenseinladung mit dem Abtritt Sonjas und dem Auftritt Adeles bei Plattenmusik und „ungehinderten Blicken Gillespies“ auf ihre „sommersprossigen Brüste“ (die kennen wir ja schon!), der Blitzeinschlag, der peitschende Wind, die weihnachtliche Vereinigung von „Nasser-Hund-Geruch“ und „Weihrauch“ in einer kleinen Kapelle nach Wendys geglückter Hundesuche, schon das ist zu viel des Schlechten. Als dann auch noch Jude den Verlust des geliebten Daniel verarbeiten muss, trifft es sich gut, dass Adele bei der nächtlichen Suche nach Wendy und Finn ihre Badeanzüge „ins Auto geworfen hatte“. So ist möglich, dass sich erstmals im frischen und kalten Ozean wellenumtost diese drei Freundinnen nicht nur berühren sondern „umklammern…als ginge es um ihr Leben“. Ja, so können lange Freundschaften enden oder ist eher gemeint neu beginnen? Selten war ich so froh, dass jetzt Schluss war. Note: 4 – ( ai) <<
>>Die drei Freundinnen Jude, Adele und Wendy verbringen ein Wochenende im Landhaus ihrer verstorbenen Freundin Sylvie, die wohl so etwas wie die Klammer dieser Freundschaft gewesen sein muss. Nach ihrem Tod treten die Unterschiede in den Charakteren hervor. Nervende Eigenheiten werden nicht mehr übersehen. Ebenso Runzeln und Flecken auf der altgewordenen Haut der anderen. Das Alter fordert Tribut. Neidvoll wird beobachtet, wie man sich ohne Mühen noch aus dem Sitzen erheben kann oder eben auch nicht. „Haare wie Adeles sah man in Werbungen für Seniorenresidenzen, die suggerierten, Älterwerden können etwas anderes als abstoßend sein.“
Als Menetekel für die Vergänglichkeit ist der hinfällige, teildemente Hund von Wendy dauerpräsent. Sein bemitleidenswerter Zustand wird von Wood sehr fein beschrieben. Der Hund war einst ein Geschenk von Sylvie an Wendy , um sie über den Tod ihres Mannes Lance hinwegzutrösten. Etwas Spannung wird aufgebaut, als angedeutet wird, dass es noch einem anderen Grund gegeben habe. Wie dies dann aufgelöst wird, enttäuscht in seiner vorhersehbaren Banalität. Noch schlimmer gerät der Schluss, der die Kitschgrenze deutlich überschreitet. Note: 4 (ün) <<