Verlag Wagenbach 1995 (Ital. Original 1995) – 297 Seiten
>>Malerbas Werk ist ein abenteuerlicher Roman-Rückblick in die kriminelle Kirchengeschichte des 16. Jahrhunderts. Autoritärer Glaube ist Herrschaftsinstrument. Der Verweis auf satanische Kräfte und irreale Gesetzmäßigkeiten werden beliebig mit Lug und Betrug angereichert. Ziel ist neben missverstandener Frömmigkeit stets der persönliche Bonus. Die suchtartige Befriedung von Libido, Macht- und Gewaltgelüsten. Je höher die Position in klerikalen Institutionen, desto egomaner die Ansprüche, desto skrupelloser das Instrumentarium ihrer Durchsetzung, desto bizarrer der Glaubensmissbrauch sich selbst und den Gemeindemitgliedern gegenüber. Auch weil Leben keine Bedeutung zukommt, hat das manipulative Glaubenssystem der kirchlichen Diktatoren selbst auf die kontinentalen Machtverhältnisse einen zerstörerischen Einfluss.
Nach dem plötzlichen Tod des Verschwendungspapstes Leo X. wird nach großen Kontroversen ein Kardinal aus dem Ausland zum neuen römischen Papst gekürt. Prompt kommt es zu Aufruhr im Volk und Bestürzung bei Geistlichen, die um ihre Privilegien fürchten. Intrigen, Moralverfall und Kriminalität herrschen in den kirchlichen Chefetagen. Zwei konkurrierende Kardinäle versuchen im Schatten der Umbrüche das Amt des Kämmerers und damit den Zugriff auf die Finanzen an sich zu reißen. Selbst Mord ist ein probates Mittel bei diesem Ringen.
In einem amüsanten, informativen und spannungsreichen Erzählaufbau bewegen sich vier Handlungsstränge auf ein gemeinsames Epizentrum zu, das im Moment des Zusammentreffens überkritisch wird.
- Kardinal della Torre lebt in Angst zurückgezogen in seinen Spiegelgemächern. Er sucht die Einsamkeit durch Spiegelvervielfältigung seiner selbst zu umgehen. Angetrieben von Machtgelüsten manipuliert er seinen engsten Mitarbeiter Diakon Baldassare und stachelt ihn gegen seinen Konkurrenten an.
- Sein Widersacher Kardinal Ottoboni ist ihm in Machtgeilheit, Prasssucht und Intrigenerfolgen stets voraus. Dieser rüstet zum Anschlag auf della Torre mit Hilfe eines Berufskillers.
- Der neue Papst steht drohend über allem. Er bewegt sich mühsam mit seiner Schiffskarawane von Spanien nach Rom, wo beim rituellen Schuhkuss der Kardinäle zum Empfang des Papstes alle aus ihren Verstecken erscheinen müssen. Es wird der Moment der Katastrophe werden.
- Diakon Baldassare ist getrieben von naiver Ergebenheit und Treue zu Gott und seinem Vorgesetzten. Sein Schicksal-weisendes Missgeschick ist eine unverstandene Weihrauchallergie, die ihn an Stätten heiliger Besinnung in schwere Hustenanfälle stürzt. Hin- und hergerissen von Angstvisionen, versucht er sich in Befreiungstherapien. Auf Anraten della Torres gibt er sich zunächst ängstlich und bald lustvoll genießend einer Hure hin, sucht einen Arzt mit diabolischen Spezialkenntnissen auf, will sich dem Exorzismus anvertrauen. Und dennoch zweifelt er immer wieder, fühlt er sich doch für eine Teufelsaustreibung zu rein. Sein Meister Kardinal della Torre nutzt mit großer Hinterlist die Seelennot und macht ihn zum Instrument seiner Machtinteressen. Mit intelligenter Grausamkeit treibt er ihn in den mörderischen Anschlag auf seinen Konkurrenten. Della Torre macht den Diakon glauben, seinen in ihm wohnenden Teufel durch diese teuflische Tat besänftigen zu können.
Gefangen in dem Irrglauben des 16. Jahrhunderts und an sich erfüllt mit dem Streben nach dem Guten, bleibt Baldassare in seiner Naivität letztlich schuldlos – auch im Angesicht des folgenden Mordes an Ottoboni.
Schuldig und durch Angst und Einsamkeit aufgezehrt dagegen della Torre, der schon als junger Mann mit allem Ehrgeiz Berufsheiliger werden wollte. In seinem ganzen Leben konnte ihn nur ein Mensch an das Menschliche in ihm selbst heranführen – eine Hure. Es war eine Hure, die er bis zum päpstlichen Verbot als Haushälterin anstellte. Tragisch bis zum Schluss: Als sie sich ihm nach vielen Jahren der enttäuschenden Ablehnung zuwenden will, ist auch della Torre ermordet worden.
Und die Kirche? Der neue Papst wettert gegen die Unordnung im Inneren, um eine äußere Ordnung zu erzwingen. Auch diese Ordnung ist betont gewalttätig. Sie ist von den gleichen willkürlichen Motiven getragen. Nur die Adressaten sind andere. Alle Kräfte für das Morden bei den Feldzügen gegen die Heiden. Alle tragen Masken und können doch nicht die nackten Tatsachen maskieren.
Leser, die über den angemessen religiös-mittelalterlichen Sprachstil nicht stolpern, werden ihre helle Freude an dieser Lektüre haben. Note: 2+ (ur)<<