Trügerisches Licht der Nacht – Juan Manuel de Prada

Klett-Cotta 1999 (1997) – 393 Seiten

>>Ein Kriminalroman um Kunst, Liebe und Obsession. Vor der winterlichen Kulisse Venedigs, das mit nekrotischer Lethargie im Fäulnisnebel zerfließt, versucht der junge Kunsthistoriker Ballesteros seine Arbeiten über das fünfhundertjährige Gemälde La Tempesta (Das Gewitter) zu vertiefen. Gewitter suchen prompt auch ihn heim, als ein Kunstfälscher hingerichtet wird, eine Tochter zwischen dem Toten und ihren Adoptivvater laviert, der Adoptivvater der Kunstvater des Gemäldes La Tempesta ist und das Gemälde wegen Diebstahls die Forschung des Doktoranden erschwert. Alle wissen über alles irgendetwas und schweigen doch, während der junge Mann libidogetränkt durch die Damenwelt mäandert und über das Original erfährt, dass es eine fast noch genialere Kopie hat. Damit erreicht der Plot die kunsthistorische Ebene.

Der Museumsdirektor und Herrscher über La Tempesta philosophierte: Kunst ertrinkt in Theorie, wird erdrückt vom bibliographischen Laubwerk, das über dem Erschaffenen ausgekippt wird. Das vergeistigte Laubwerk beansprucht selbst zum Wert zu werden. Er dagegen sei überzeugt, dass Kunst pure Passion, reine Emotion sei. La Tempesta sei das Ideal. Kein Gespinst der Ratio. Alles verschwindet unter dem gemeinen Mörtel des Vergessens. Nur Kunst hat bleibende Vergangenheit.

So lesen wir kenntnisreiche Diskurse des Autors zum kontroversen Kunstverständnis in einer Art, dass selbst der Handlungsort wohl gewählt erscheint. Venedig, das Gesamtkunstwerk, die sentimentale Hingebung an Farbe und Farblosigkeit. So frönt Venedig der Religion des Gefühls, nicht der des Verstandes. Und wie reagiert die Vorsehung? Alljährlich bestraft sie Venedig mit Hochwasser. La tempesta – das Unwetter. Und selbst die Darstellung dessen ist schon wieder ein Quell der Katastrophen. Der venezianische Zyklus scheint endlos.

Zentrale Bedeutung in diesem Setting kommt dem Kunstfälscher Fabio Valenzin zu. Er hatte sich eine Groteske erlaubt, als er eine große Ausstellung mit durchweg von ihm gefälschten Bildern initiierte. Die Werke zeigten die pornographischen Motive eines belgischen Künstlers. Den alternden Maler lud Valenzin zur Vernissage und bat ihn vertraulich, die Echtheit der Werke zu beurteilen. Man befürchte, dass Fälschungen dabei sein könnten. Der Künstler bewertete die Mehrzahl der Bilder als seine Originale. Die unumstößliche Wertigkeit des Originals war damit eines weiteres Mal in Frage gestellt und die Genugtuung des Fälschers zutiefst befriedigt.

Valenzin war der platonische Schwarm der Adoptivtocher Chiara des Prof. Gabetti. Prof. Gabetti wachte so eifersüchtig über Chiara wie über das unter seiner Obhut stehende Gemälde La tempesta. Gabetti und Valenzin – das war wie die Vorder- und Rückseite der Gemälde. Zwei Ansichten, die nie zusammenkommen können. Der Fälscher konnte nicht wirklich lieben. Stattdessen verehrte er Chiara als Götzengestalt, malte und studierte sie stundenlang. Sein Liebesdienst bestand darin, sie ebenfalls zur Fälscherin auszubilden. Für Valenzin war La Tempesta das Spiegelbild seiner Existenz. Fließender Übergang von Mensch und Gemälde. Die Fälschung von La tempesta trug deshalb nicht überraschend heimliche Spuren von Chiara und wurde unbemerkt an die Stelle des gestohlenen Originals gehängt. Dass Valenzin dabei eine rote Linie im prinzipientreuen Kunstverständnis von Chiara überschritten hatte, beantwortet sie mit seiner Liquidierung. Sie bleibt jedoch unentdeckt und ohne Bestrafung. Nur Ballesteros, der am Ende ein Geheimnis und einen Beischlaf mit ihr teilt, wird die verschlungenen Pfade durchdringen.

Im Trubel der Karnevalszeit wird der spanische Doktorand zwischen den widerstreitenden Parteien von Polizei, Museumsdirektor, dessen Ex-Gattin und einem urwüchsigen Grobian namens Tedeschi hin- und hergerissen. Spontan (und unverstanden) findet er in Tedeschi einen vertrauensvollen Kompagnon, der ihm einmal das junge Leben retten wird. Durch einen Zufall erfährt er von einem verschlossenen Sicherheitskoffer im Hotel seiner sympathischen Wirtin, den diese für Valenzin versteckte. Sein Inhalt wird sich später als das gestohlene Original von La Tempesta entpuppen. Ein komplexes Geflecht von Verstrickungen offenbart sich mit kriminellem Potential, peinlicher Karnevalserotik und gesellschaftskritischen Elementen mit Blick auf Behörden-Doppelmoral, aristokratische Gier und fragwürdige Kunstbegriffe.

Ein spannender Roman im Widerstreit von Gier nach einem Kunstwerk als geistiges Heiligtum und Kunst als austauschbarem Kultgegenstand. Auch wenn einige inhaltliche Brüche unübersehbar sind und sich roter Kriminalfaden, Kunsttheorie und Metapherverliebheit gelegentlich im Wege stehen, liest sich der Roman auch wegen der blumigen Intonation unterhaltsam. Wenige Stellen kippen ins Kitschig-Schmalzige.
Note: 2 (ur)<<