Alberta empfängt einen Liebhaber – Birgit Vanderbeke

Alexander Fest Verlag  (1997) – 117 Seiten

>>Das Werk behandelt die Traurigkeit in einer glücklosen Beziehung zwischen Alberta und ihrem Jugendfreund Nadan. Es ist eine toxische On-Off Liaison. Literarisch schon oft abgehandelt. Der Kunstgewinn im Teil I ohne Überraschungen. Im Teil II jedoch die Wende, als die Erzählung der Hauptprotagonistin endet, und die Autorin persönlich auftritt. Sie problematisiert das Verfassen dieses Romans im Kontext ihrer gerade gelebten Ehe. Ein Ineinandergleiten der fiktiven und vermeintlich realen Ebene zeichnet sich ab. Und damit versprechen die Beziehungsinhalte literarisch zu fusionieren. Ist das gelungen?

Alberta und Nadan fühlen sich periodisch angezogen ohne jedoch wirklich zueinander zu finden. Wie eine Sucht mit überwunden geglaubten Rückfällen kommen sie nicht voneinander los, wobei sie nichts als Intoleranz, Egoismen und Schweigen verbindet. Die Kraft und der Motor der Sucht bleiben unverstanden. Als Jugendliche fällt der erste nicht stattfindende Kuss einem Urschweigen zum Opfer. Als Mittzwanziger scheitert ein gemeinsamer Ausreißversuch an ihrer beidseitigen Beziehungsunfähigkeit. Sein Zahnputzgurgelgeräusch reicht, um all ihre Zuneigung zu löschen. Im Gegenzug verfällt er in isolierende Migräne, so dass ein Urlaub schon im ersten Autobahnhotel verebbt. Als Erwachsene – nach ihrem Aufenthalt als Studentin in Lyon und seinem Exkurs als Astrophysiker in die USA – hält er für sie ein Familienhaus parat, das natürlich nie ihre gemeinsame Heimat wird. Irgendwann wird sie von ihm schwanger. Er lässt sie sitzen. Sie treibt ab. Auch wenn ihre Ablehnung an dieser Stelle verständlich wird, bleibt unklar, wodurch ihre gleichzeitige Anziehung gespeist wird.

Die Geschichte versandet – als Leser spürt man nur das Knirschen zwischen den Zähnen, nicht aber den bitteren Geschmack der pathologischen Zweisamkeit. Dabei hätte aus der interessanten Konstruktion des Plots etwas werden können. Während im ersten Kapitel in der Ich-Form Albertas Geschichte erzählt wird, führt sich im zweiten Kapitel die Autorin selbst ein, um mit ihrem desinteressierten Gatten Jean-Phillip die Fortsetzung des Romans zu diskutieren. Dieses literarische Arrangement böte die Möglichkeit, die Beziehungsprobleme im Wechselspiel zu beleuchten und im Kräftespiel zwischen Vanderbeke und Jean-Phillip Antworten mit dramaturgischer Eigendynamik zu entwickeln. Leider bleibt der Ansatz auffällig oberflächlich. Es ist nicht erkennbar, was der Jean-Phillip-Exkurs letztlich beiträgt.

Ein Fazit: es gibt nichts Schwierigeres als Beziehungen. Paralysierendes Schweigen ist ihr wichtigstes Merkmal. Eine trübe Vision in einer hier mitunter ermüdenden Version.  Note: 3/4 (ur)

Die Glut – Sandor Marai

Piper Zürich  (1942/1998) – 224 Seiten

 << Márai widmet sich in diesem Werk Fragen wahrer Freundschaft; wie seelische und gesellschaftliche Antipoden Grenzen negieren und sie am Ende doch nicht niederreißen können. Wie Liebe zwischen den Geschlechtern und tiefste Verbundenheit zwischen Männern, engste Bünde hervorbringen und lebenstiefste Gräben aufreißen. Und dass Prinzipientreue und Verletzungen ewig wirksam bleiben. So beschrieben zwischen zwei grundverschiedenen Männern und einer Ehefrau in der K.u.K Monarchie Österreich-Ungarns, der Heimatregion des Autors.

In seinem 75. Lebensjahr wartet General Hendrik immer noch asketisch vereinsamt in seinem Karpaten-Schloss auf den hassgeliebten Freund Konrad, der sich vor über 40 Jahren in die Tropen absetzte. Beide waren schon als Kinder wie unzertrennliche Zwillinge; besuchten gemeinsam die Kadettenschule; absolvierten den Wiener Militärdienst um die Jahrhundertwende und schienen trotz ihrer Gegengesetzlichkeit aneinander geschweißt.

Hendrik: stark, lebenszugewandt, unternehmungslustig, prinzipientreu aber emotionslos, reich und aus wohlhabendem Geschlecht. Konrad dagegen aus armem Elternhaus, introvertiert, musikalisch-verträumt, aber ebenso prinzipientreu. Trotz Freundschaft gewährten sie sich übereinstimmend nicht den gesellschaftlichen und finanziellen Ausgleich untereinander. Ebenso blieb für beide vom jeweils anderen ein bedrohliches, unverstandenes und beneidetes Wesenselement. Verborgen und unerreichbar.

Vermutlich war es eine stille Entfremdung von Hendrik, die Konrad zusammen mit dessen Frau Krisztina veranlasste, einen tödlichen Jagdunfall zu konzipieren, dem Hendrik jedoch nicht zum Opfer fiel. Konrad hatte im dem Moment, als Hendrik die Tötungsabsicht erkannte, den Mut zum finalen Schuss verlassen. Der entlarvte Attentäter floh in die Tropen und blieb 41 Jahre verschollen. Hendrik, der eine Teilnahme seiner Frau vermutete, verließ auch sie augenblicklich. Fortan versank er in einer inneren und äußeren Immigration. Seitdem verharrte er paralysiert in diesem Leerraum – gestützt nur von seiner inzwischen 91-jährigen Ersatzmutter, der früheren Amme, die ihm eine verständnisvolle, lautlose und einfühlsame Dienerin blieb.

In der Gewissheit, das Leben ohne Aussprache nicht beenden zu können, treffen die Kontrahenten noch einmal aufeinander. Konrad erhofft vermutlich durch eine Beichte seelische Befreiung. Hendrik dagegen will ihm zuvorkommen und die Wahrheit nehmen, um den Schmerz zu sühnen. Da Henrik in einem vorauseilenden Monolog die Ereignisse mit detektivischem Spürsinn faktengenau abhandelt, bleibt Konrad nur Schweigen. Dadurch wird ihm tatsächlich die erhoffte Absolution vorenthalten. Die Schuldzuweisung wirkt umfassend. Obwohl Mordversuch und Ehebruch vordergründig die Hauptvorwürfe darstellen, entpuppt sich der Verrat an ihrer Männerfreundschaft als die bedeutendste Verletzung.

 Trotz des im Grunde sehr schlichten, geradlinigen Handlungsablaufs, gelingt dem Autor eine anhaltende Elektrisierung. Dies erscheint umso bemerkenswerter, da die monologischen Reflexionen des Hauptprotagonisten in der Anlage monoton ausgelegt sind. Dennoch bleibt der Leser im Geflecht der Beweisführung gebannt.

Letztlich steuert der Roman auf zwei Fragen zu. Hat die Ehegattin den Komplott mit geplant und haben die beiden Freunde vielleicht ihre Lebenskraft nur aus dem Niedergang dieser Frau ziehen können? Nach der Trennung verendete sie vereinsamt an Auszerrung. Beide Männer durften sich sicher sein, dass der Rivale von ihr nicht mehr bevorzugt werden würde. Die erste Frage wird im Werk vorab mit ja beantwortet. Die zweite Frage bleibt unbeantwortet. Da der Plot als Ganzes in diesen Fragen seinen Kulminationspunkt erreichen soll, ist am Ende Leseenttäuschung vorprogrammiert, denn der Spannungsbogen wird letztlich nicht vollendet.  Note: 2/3 (ur)>>