Russendisko – Wladimir Kaminer

Goldmann Verlag 2000 – 192 Seiten

>> Kaminer erzählt als ein in Berlin lebender Russe in 50 kurzen Kapiteln teils skurrile, teils nachdenkliche und in großen Teilen triviale Episoden aus dem Habitat der Spezies Russe. Russen, die sich als Exilanten im verführerisch kapitalistischen Milieu behaupten. Fressen und gefressen werden. Da gibt es z.B. seine robuste Frau Olga, die von Vulkanausbrüchen und Tschetschenen-Überfällen gehärtet wurde. Bei einem Berliner Stromausfall steigt sie unerschrocken in den Keller, um der Sicherung auf die Sprünge zu helfen. Die im Dunkel liegende, leblose Gestalt hält sie für den vom Stromschlag niedergestreckten Elektriker. Mit isolierenden Handschuhen trägt sie ihn ans Tageslicht um festzustellen, dass es sich um einen volltrunkenen Stadtstreicher handelt.
Da ist das metaphorisierende Kunstwerk eines russischen Bildhauers. Die riesige aus Beton gegossene Muschel mit angedeutetem Loch trägt den Titel: „Das Leid der Materie“. Auf der verzweifelten Suche nach einer subventionierten Bestimmung handelt sich der Künstler fortlaufend Absagen ein. Als Berliner Holocaust Mahnmal zu klein. Als Prager Gedenkstein für von Russen vergewaltigte Frauen zu teuer. Schließlich wird es kurzzeitig zum Vaginalsymbol auf einer Hamburger Erotik Messe. Die Kunstwerk-Odyssee findet erst auf einem Kinderspielplatz ein glückliches Ende.

Einige dieser Anekdoten sind originell in der Konstruktion, selten im Sprachduktus. Viele Geschichten bauen auf einen bemühten Witz, manche sind peinlich. Die Summe der Kapitel malt durchaus das Bild, welches klischeehaft dem deutschen Russenbild entspricht. Gleichzeitig nährt die Sammlung den Vorwurf an das Gastgeberland Deutschland, in Vorurteilen verhaftet zu sein. So sieht man den Russen als solchen bevorzugt in langen Küchennächten in Wodkaströmen davonschwimmen, mit realitätsfremden Visionen durchs Leben stolpern oder als halbkriminellen Ganoven vor allem den Eigennutz vermehren.

Selten droht der erhobene Zeigefinger. Meist steckt hinter den Geschichten einverständnisvolles Nachsehen des russischen Autors über seine Landsleute. Dem Gastgeber Deutschland wird Kritik zugemutet. Verständnis für Deutsche steht nicht im Mittelpunkt. Eher das russische Unverständnis den deutschen Behörden gegenüber, warum arbeitsscheuen Russen überhaupt Sozialhilfe gewährt wird. Selbst schuld.

Summa summarum: eine sehr leichte, mitunter seichte Lektüre für Minuten. Am besten auf dem Klo in Dosen entsprechend der Verdauungslänge. Spülen nicht vergessen.

Note : Wegen der Leichtigkeit und Kürze keine 4–  sondern 3– (ur)<<