QQ- Max Goldt

Max Goldt- QQGoldmann 2006, 183 Seiten.      

 

>> 21 feuilletonistische Texte mit different quality. Ausgangspunkt fast immer Alltagsbeobachtungen, die z.T. sehr skurrile Assoziationen freisetzen. Zum Kugeln und mit hintergründig geistreichem Witz  (Malta; Moral-theologe; Schnalbelsackaroma; Zahnfleisch-prophylaxe und – großartig – Drahtschneckenringe u.Vicky Handchoreographie zum Gähnen und Abwinken (Henner Larsfelds Fernsehmusik;  Prekariatsgedanken; Querula-torisches im ICE; auch die drei Sprachkritiken – am schwächsten der aus meiner Sicht gescheiterte Analyseversuch jenes Satzes, der nach M. G. „nichts als Lügenschaum und dumme Fratze“ sei). Schade, dass das Potpourri und Feuerwerk von Geistesblitzen – die Wampenwanderung, die Cranio Sakral Session, die wunderbare Bügelhaltersicherung, der Zählkonflikt des illegalen Ziegenhirten, der Kindheitserinnerung an Frau Rem (es ist auch meines Kindheitserinnerung) so rasch erlischt. Ein Kracher jagt zu sprunghaft den nächsten – da kann dann auch mancher Text  wie bei der „Stabilität der Tomatenschelte“ in sich zusammenkrachen. Aber Max Goldt ist weit weit besser als der Kalauer „Es ist nicht alles Goldt, was glänzt“. Note: 2/3 ( ai)<<

>>  MG in QQ revisted: Max Goldt mit Quiet Quality recycelt. 21 Impressionen der Zeitschrift Titanic. Warum nicht und vor allem für jene, die es kompakt mögen, die es satirisch lieben, die sich Sinn für Unsinn bewahrt haben und hinter allem dennoch Lebensweisheiten vermuten wollen. Quiet quality sei all das in der modernen Medien- und Kulturlandschaft, was nicht schreit und spritzt. Wie von Max Goldt erwartet werden darf, lässt er sich auf das erste Q ein um gleich das zweite ins Gegenteil zu verkehren. Meist beginnt er mit dem Stillen, mit den übersehenden Kleinigkeiten des All- oder Sonntags, denen er sodann eine überraschende Interpretation, eine humorvolle Ausformung oder eine bissige Wertung gibt, dass es spritzt und schreit.
Max Goldt widmet sich gefälschten Helden wie dem Filmmusik-Komponisten, der entnervt ist von seinem jubelnden Publikum, weil es nicht merkt, dass seine Melodien sich ständig wiederholenden Grundmustern folgen. Oder jenen Damen als echten Helden der Zivilisation, die sich mit eherner Disziplin der grotesken Aufgabe stellen, kleine Affen in Kinderwagen um den Wohnblock zu rangieren.
Max Goldt ist vielseitig. Auch für Plattitüden ist er sich nicht zu schade. Folglich begegnen wir flach geratenen Abhandlungen über das Staunen, der Ablehnung eines neuen Feiertags namens „Masern“ in einer feiertagsarmen Jahreszeit vor den Herbstferien, oder seiner aufgesetzten Aufregung über die weibliche Gewohnheit, Stoffbärchen an Rucksacktaschen zu binden. Goldt ist klar, dass sich hier ein Bewußtseins-schwaches Geschlecht ausbreitet, auf das sich die Frauenbewegung fokussierten könnte, sollte sie noch mal zu Kräften kommen.
Wesentlich amüsanter dagegen „Die Prophezeiung“, die Pelikanen in Folge der Klimaveränderung eine glänzende Karriere als Pilzsammler voraussagt, was den Pilzen zwar ein Schnabelsackaroma verleihen würde, jedoch medientechnisch gewinnbringend in Szene gesetzt werden könnte. Auch sprachlich gelungen die herrliche Betrachtung „VL“, in der wir Vicky Leandros urban verfeinert in dramatischer Folkloretoilette wieder begegnen. VL sei ebenso sinnstiftend gewesen wie Katja Ebstein, die über jene ausgefeilte Handchoreographie verfügte, die jedem Korkenzieher Schraubgewinde Ehre machte.
Doch wie jeder gute Fußballverein hat auch GG schlechte Tage, an denen sich sprachliche Wadenprellungen häufen. Tage, an denen Elfmeter verschossen werden mit Sentenzen wie „die mir zugefügte Gewalt nicht langewaltend seelisch beschädigt“, Torflanken mit „zelebratorischer Schweigsamkeit“ ins Leere laufen, oder an denen mit „adoleszentem Wunsch nach Otherness“ schon mal der Schiedsrichter beleidigt wird. Das sind verregnete Tage, an denen die schriftstellerischen Schuhe besser im Spind geblieben wären. Aber sehen wir es sportlich. Wichtig ist doch nur das Dabeisein: spritzend oder bespritzt – in QQ ist für jeden irgendwo und –wie was dabei. Also bitte Platz nehmen. Note: 3 (ur)<<

>> QQ,  ein in einem fiktiven Interview des Autors mit der ebenfalls nicht-existenten Krimiautorin Petra Hipproth in einem früheren Werk auftauchender, angeblich neuer US-Trend für „stille Güte“ (quiet quality), stehe für alles , was nicht „spitzt und schreit“.  Reichlich viel Fiktion für einen Buchtitel. Ob dies als Klammer für die 21 in QQ vereinigten Essays  taugt? Eher nein. Macht aber nichts. Von wenigen Ausnahmen, wie „Über Fernsehmusik“ mal abgesehen, finden sich sehr gelungene, witzige und im Detail manche bekannte, oder eben auch die nur im Unterbewusstsein registrierten Alltagsphänomene – wie das der „fehlenden Haken“ – überraschend ergiebig  ausleuchtende, zuweilen auch ätzende, giftige oder gänzlich absurde Gedanken. Dies, und seine trotz des schonungslosen Grundtons immer sensible Annäherung an Sprache und mediale Sprachschöpfungen, aber auch sein virtuoser eigener Umgang mit Sprache, machen den Reiz des schmalen Bändchens aus. (Grossartig : „Gedanken bei der Cranio“) Dass sich bei der einen oder anderen Geschichte die Assoziationskette manchmal so weit verzweigt, dass der Autor nur mit Mühe oder auch gar nicht zum Ausgangspunkt zurückfindet, hat mich nicht im Geringsten gestört – im Gegenteil. So denkt Mensch nicht nur manchmal, sondern oft. Ich bin Goldt auf fast allen Wegen und Abwegen  gerne gefolgt. Note: 2 (ün)<<

>>Warum habe ich an diesem schneeigen Januarmorgen überhaupt keine Lust, über die 22 Titanic-Kolumnen des Kleist-Preisträgers Max Goldt zu räsonieren? An seinem ansprechenden Namen, der nur partiell zu seinem leicht bräsigen Gesicht passt, kann es nicht liegen. Liegt es dann vielleicht daran, dass ich nach der Lektüre der Martenstein-Kolumnen „Männer sind wie Pfirsiche“ viel ruhiger und zufriedener einschlafe als nach den Goldt -Glossen? Oder daran, dass ich im Innersten weiterhin schlicht und ergreifend die Schreibobligation nach der Lektüre und Diskussion eines Buches ablehne, es aber nicht zugeben kann? Oder daran, dass ich seit vielen Monaten fast hundertprozentig davon überzeugt bin, dass meine Zeilen nicht einmal  d i e drei Männer lesen, die das Vergnügen haben, gemeinsam mit mir seit über 15 Jahren (Jubiläum verpennt!) einen Lesekreis zu bilden, der sogar über eine eigene Homepeitsch (Wortspiel) verfügt. Wobei, damit keine Zweifel entstehen, das Vergnügen ganz meinerseits ist.Vielleicht finde ich später noch eine Antwort.
Max Goldt jedenfalls scheint diese Unlust nicht  zu kennen, zumindest nicht ernsthaft. Er schreibt scheinbar mühelos über fast alles und jedes. Es geht von Sylt nach Malta, von der Rohlings-Spindel zur Fach-Entrostung, vom Bärchen am Rucksack zur Theaterkritik. Und immer wieder die Sprache, unsere, die deutsche, die er als „Dorftrottel unter den Sprachen“ bezeichnet. Und doch nimmt er den Dorftrottel ernst, so ernst, dass es oft schon wieder lustig wird. So wenn er zeigt, wie dünn  und durchsichtig die Buchstabensuppe aus all den Worthülsen vieler Talkshows ist. Gelegentlich fühlt man sich ertappt, so etwa wenn er das Leserbriefschreiben als letzte sichere Bastion für Querulanten bezeichnet (S.90). Und wer schon mal in Kur war, hat sie gesehen, die, die „ihren Bademantel wie Hermelin tragen“(S.64). Oder sein Kommentar zu einer fast schon dekadent anmutenden Form des Feinschmeckertums, das auch in den sogenannten alternativen Intellektuellenkreises in den letzten zwanzig Jahren massiv zugenommen hat: “Bald wird niemand mehr etwas gelten in der Gesellschaft, der nicht wenigstens einmal im Jahr durch Pelikanspeichel fermentierte Pilze isst.“(S.76) Aber dann, ganz fürchterlich, wenn er Nietzsche mit zwei Sätzen richtet: “Nur was morgen stirbt, ist heute schön! Ewigkeit ist ekelhaft!“ Danke, Max! Note: 1/2 (ur)<<