Die andere Gesellschaft – Heinz Buschkowsky

K640_Die_andere_GesellschaftUllstein 2014 | 302 Seiten.

>> Heinz Buschkowsky wird gerne in talkshows eingeladen, wenn es um Integration/Migration geht. Das hat mindestens zwei Gründe. Erstens ist er als langjähriger Bezirksbürgermeister von Neukölln qua Amt ausgewiesener Fachmann und zweitens ist er unterhaltsam und ein Meister des Anekdotischen. Das merkt man auch seinem Buch an, das sich streckenweise liest wie der live Mitschrieb einer talkshow oder eines Interviews. Sätze wie „Einen hab ich noch…“ „Eine klare Ansage machen “, „einen auf dicke Hose machen“ oder „Blödsinn verzapfen“ wirken in einem Sachbuch gedruckt merkwürdig. Seine Vorliebe für Redensarten („ Vogel friß oder stirb“) führt zudem zu einer gewissen Geschwätzigkeit, die für mein Gefühl für die Seriosität des Gesagten eher abträglich ist.

Trotzdem ist es ein wichtiges Buch. Buschkowsky spricht unbequeme Wahrheiten über misslingende Integration, über Multi-Kulti-Illusionen, über Sprechverbote der „political corectness“, über die schnell geschwungene Rassismuskeule und über die unheilvolle Rolle diverser Islam-Prediger aus. Er plädiert mit Verve und guten Argumenten gegen ethnische Rabatte in der Beurteilung von Straftaten und gegen jegliche Art von Kulturrelativismus. Was er über den Einfluss arabischer Großclans auf die Berliner Justiz und generell über den wachsende Zahl orthodoxer Muslime berichtet, ist schockierend. Den zentralen Lösungsansatz sieht Buschowsky im Bildungsbereich – wenig überraschend. Er erwähnt den Erfolg der Rütli-Schule nach einem vorangegangenen völligen Kollaps und dem anschließenden radikalen Umbau. Wie der inhaltlich aussah, hätte man natürlich gerne gewusst und genau dies wird nicht ausgeführt. Eine ärgerliche Schwäche des Buches. Auch irrt Buschkowsky, wenn er mehrmals meint: „Lehrer sind hilflos, weil sie in Deutschland keinen Erziehungsauftrag haben“ (S.99 und wiederholt auf S.131). Hier hätte er selbst mal in §2 (1) des Schulgesetzes seines Bundeslandes schauen können: „ Jeder junge Mensch hat ein Recht auf zukunftsfähige schulische Bildung und Erziehung ungeachtet seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Herkunft, einer Behinderung, seiner religiösen oder politischen Anschauungen, seiner sexuellen Identität und der wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Stellung seiner Erziehungsberechtigten.
Ein weiterer Widerspruch ist mir unangenehm aufgestoßen. Buschkowsky beklagt, dass häufig die Schule oder ihre Lehrer für das Versagen der Kinder verantwortlich gemacht werden. Er selbst haut aber genau in die gleiche Kerbe, wenn er auf S. 173 populistisch fragt: „Was haben eigentlich die vielen Staatsbediensteten in Kindergarten und Schule gemacht, oder besser gesagt versäumt, dass es zu dieser Fehlsteuerung der Sozialisation gekommen ist?“

Trotz gewisser inhaltlicher und auch stilistischer Mängel bleibt „Die andere Gesellschaft“ aber ein wichtiger Beitrag zu einer notwendigen, ehrlicheren Debatte über Islam und Migration ohne Denkverbote. Note: 2/3 (ün) <<

>> Buschkowskys in jahrzehntelanger Erfahrung als Bezirksbürgermeister in Neukölln und in Gesprächen mit Imamen und Islamkennern gewonnene Erkenntnis ist ernüchternd: Der Islam und die freiheitlich demokratische Grundordnung sind in wesentlichen Punkten inkompatibel. Religiös dominerte Sichtweisen und bedingungslose Bekenntnisse bestimmten den Alltag und schafften zunehmend rechtsfreie Räume. Der Ehrenkodex tradierter archaischer Familienstrukturen und die Scharia stellten vielfach das Gewaltmonopol des Staates in Frage . Abgrenzung statt Integrationsbereitschaft sei die Folge, die Bildung von Parallelgesellschaften unvermeidlich, die Islamisierung des öffentlichen Raumes in sozialen Brennpunkten nicht nur Berlins gegenwärtig. Beispiele gelungener Integration, denen ein modernes säkulares Islamverständnis zugrunde liege, seien nicht repräsentativ. Schonungslose Kritik übt Buschkowsky am „Mainstream-Multikulturalismus“, der das Konfliktpotential dieser „anderen Gesellschaft“ für die demokratische Mehrheitsgesellschaft negiere (Zwangsheirat, Imamehe, Selbstjustiz, Machoverhalten, Ungleichheit der Geschlechter, Kopftuch, Bildungsferne u.Straffälligkeit jugendlicher Muslime). Statt eines selbstbewussten „Hier ist Deutschland“ (vgl. „Hier ist Österreich“) gebe es einen Hang zum Kulturrelativismus, ja sogar ein verständnisvolles Entgegenkommen bis zur Selbstaufgabe eigener Werte und Überzeugungen. Im Bereich der Rechtsprechung führe dies etwa zu „kulturellen Rabatten“, wenn etwa ein Totschlag während des Ramadam aufgrund einer Unterzuckerung des Täters zu Strafmilderung führe. Um dem Vorwurf, islamophob zu sein, zu umgehen, stelle sich vielfach eine Spirale des Schweigens, die „Rassismuskeule“ errichte Sprech- und Denkverbote. Das „PC-Schönsprech“ des „linken Bildungsbürgertums“ etwa täusche über mangelnde Sozialisation, fehlende Schulreife und ungenügende Sprachkenntnisse hinweg. An einer Fülle von Beispielen aus dem Bereich familiärer Erziehung, Kindergarten und Schule belegt Buschkowsky die Existenz einer anderen Gesellschaft im Namen des orthodoxen Islam, vor deren Probleme die politisch Verantwortlichen die Augen verschließen. Mag sich bei einem Migrationsanteil von 42% wie in Neukölln die Frage nach der Integrationsfähigkeit vor allem muslimischer Kultur im Augenblick dringender stellen als im Großteil der Republik (20% Migrationshintergrund), so verweist die demographische Entwicklung (Rückgang der Bevölkerung in den nächsten 80 Jahren auf 46 Mio, davon 26 Mio mit Migrationshintergrund) auf umgehenden Handlungsbedarf. So überzeugend Buschkowskys Bestandsaufnahme ist, so enttäuschend sind fehlende Lösungsansätze, die sich auf 35jähriger kommunalpolitischer Tätigkeit ergeben müssten – es sei denn Buschkowsky resigniere. Wie etwa, um zwei konkrete Beispiele auszuführen, wurde aus der Rütli-Problemschule ein Vorzeigemodell, wie aus dem von der Schließung bedrohten Albert-Schweizer- ein Modellprojekt für Berlins Ganztagesgymnasien? Welche Pfade führen von Bildungsferne zu Bildungsnähe, von archaischen Strukturen in die Moderne, von religiösem Dogmatismus zum Respekt vor der Würde des Einzelnen. Ist noch zu hoffen oder schon Hopfen und Malz verloren? Note: 3+ (ai) <<

 

>>Hier schreibt ein „Bio-Deutscher“. Diese Wortschöpfung liebt der frühere Bürgermeister von Neukölln; er verwendet sie ausdauernd und mit Hingabe, wodurch sie allerdings nicht klarer wird. Buschkowsky war seit 2001 Bezirksbürgermeister in Berlin-Neukölln, ein Bezirk in dem Menschen aus 160 Nationen leben. Seine grüne Kollegin Monika Herrmann (Kreuzberg) ist seit eineinhalb Jahren im Amt und schon fast zerbröselt vom Realitätsschock, den das Bürgermeisteramt mit sich brachte (Spiegel vom 14. März 2015). Trotz vieler Anfeindungen war Buschkowsky ein Bürgermeister, der Spuren hinterlassen hat. Buschkowsky beschreibt (manchmal etwas zu langatmig) zahlreiche mit der Migration zusammenhängende Probleme, die wohlmeinende Multikulturalisten gern großzügig übersehen. Vielleicht weil sie befürchten, sich in schlechte Gesellschaft zu begeben oder mit Islamphobie und anderen ansteckenden Krankheiten in Verbindung gebracht zu werden. Schwer zu sagen. Jugendkriminalität, Intensivtäter, Integrationsfähigkeit von Muslimen im Vergleich mit Asiaten, Russen usw., Schulprobleme, Arbeitslosigkeit, islamische Paralleljustiz und die Ohnmacht der deutschen Justiz gegenüber arabischen Clans werden angesprochen. Der Ausweg: mehr Bildung. Das wird aber nicht weiter präzisiert.
Oft gelten unterschiedliche Maßstäbe. Zwei Beispiele: ein deutscher Vater, der nicht möchte, dass seine Tochter einen Muslim heiratet, gerät unter Rassismusverdacht. Im umgekehrten Fall wahrt ein muslimischer Vater seine religiöse und kulturelle Identität. In Deutschland fallen Kopftücher unter das Toleranzgebot. In einigen islamischen Staaten besteht Kopftuchzwang auch für nichtmuslimische Frauen. Ähnliches gilt für den Bau von religiösen Einrichtungen in muslimischen Ländern.
Buschkowsky Schreibstil ist zupackend, oft auch erfrischend und meist an der Umgangssprache orientiert. Ein Beispiel: “Das Gros junger Männer, die hier geboren und aufgewachsen sind, kriegt rein gar nichts gebacken. Alles außer Motorraserei, Wettbüro und Sportstudio Fehlanzeige“ (Seite 273). Immer wieder spricht er die Leser/innen direkt an:“Für den Fall, dass Sie der Ausgang interessiert, will ich mit der Nachricht dienen….“(Seite 278). Leider kommt dabei die Analyse etwas zu kurz. Joachim Wagner zeigt in „Richter ohne Gesetz“ dass dies auch bei dieser Thematik möglich ist. Klar strukturiert wird in diesem Buch gezeigt, wie sich von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt in muslimisch geprägten Einwanderervierteln eine islamische Paralleljustiz etabliert hat.
Auch ein Personen-und Sachregister wäre nützlich. Auf die von Prof. Hans-Werner Sinn angestoßene Diskussion über die Kosten der Migration („Migration ist ein Verlustgeschäft“, FAZ vom 29.12.2014) geht der Autor nicht ein.

Für den Schluß möchte ich zwei Sätze des Autors „klauen“:
„Zugegeben, diese Ausführungen waren nicht sehr sachlich und simplifiziert. Ich hoffe, sie haben Sie trotzdem unterhalten“ (S.208). Note: 2/3 (ax) <<

>> Als langjähriger Bezirksbürgermeister von Neukölln widmet sich der Autor der Frage gesellschaftlicher Gegenwelten. Die Attribute „Bezirksbürgermeister“, „Berlin Neukölln“ und „Migranten“ klingen überschaubar, doch handelt es sich um eine Metropolregion mit über 300.000 Einwohnern, die 130.000 Menschen mit Migrationshintergrund einschließen. Nach Einschätzung von Buschkowsky biete dieses multikulturelle Agglomerat Chancen im Hinblick auf die demographische Sackgasse der deutschen Bevölkerung, nähre aber auch zersetzende Gegenentwicklungen, die der Autor in einem eingegrenzten religiös-kulturellen Umfeld ausmacht. Aufbauend auf seine Erfahrungen identifiziert er als zentrales Problemfeld muslimische Bevölkerungsgruppen, die – anders als z.B. polnische oder vietnamesische Einwanderer – den Wertekanon der bundesdeutschen Gesellschaft nicht bereit seien zu akzeptieren. Für islamische Migranten, vor allem fundamentalistischer Couleur, würden nur Koran und Scharia eine verbindliche Werteordnung darstellen. Diese Werteordnung stehe teilweise im Widerspruch zur demokratischen Grundordnung. Eckpfeiler der demokratischen Grundordnung wären das Selbstbestimmungsrecht des Menschen – auch von Frauen; Gewaltenteilung und Gewaltmonopol des Staates ohne Recht auf Selbstjustiz und Säkularisierung mit klarer Trennung von Staat und Religion. Die Ablehnung durch islamische Volksgruppen führe zu einer asymmetrischen Gesellschaft, in der die Legitimation der konsensfähigen Mehrheit von einer wachsenden, destruktiver werdenden Minderheit in Frage gestellt werde.

Buschkowsky hält den Islam als Religion nur im Kreis orthodoxer Fanatiker für konfliktträchtig. Bei der Mehrheit der Muslime vermutet er, dass nicht die Religion sondern die daraus abgeleitete Weltanschauung das zentrale Problem darstelle. Entscheidende Elemente dieser Gegenordnung seien mentale und reale Gewaltbereitschaft, die Verweigerung individueller Selbstbestimmung und patriarchalische Hierarchiekonzepte, in der die Frau prinzipiell untergeordnet sei. Diese Unterordnung leite sich von dem muslimischen Verständnis ab, dass sich jedes Mitglied dem Familienclan zu unterwerfen hätte. Tendenziell finde dabei eine unserem demokratischen Gesellschaftsverständnis fremde Einengung statt. Während den männlichen Teilnehmern noch begrenzte Freiheiten zugestanden würden, würde den weiblichen kaum individueller Entwicklungsraum gelassen. Verbunden mit einem geschlechtsspezifischen Machtverständnis würden folgenschwer z.B. auch kleine Brüder ihre großen Schwestern kontrollieren und sanktionieren und Eltern ihre Töchter zwangsverheiraten. Laut Buschkowsky setze sich das Primat orthodoxer Machtausübung von der familiären bis zur gesellschaftlichen Ebene fort und führe dort zu der inakzeptablen Situation, dass die deutsche Gerichtsbarkeit durch muslimische Friedensrichter ersetzt würde, welche in selbsternannten Schiedsverfahren Urteile sprechen würden.

Ein weiteres Problemfeld erscheint Buschkowsky die sogenannte Kulturrelativierung. Die Kulturrelativierung würde die deutsche Kultur unter jene der zugewanderten Bürger stellen. Kritik an der Heirat eines protestantischen „Biodeutschen“ mit einer Muslima wäre Rassismus. Die Pflicht eines Muslem ausschließlich eine Muslima zu heiraten, wäre dagegen ethnische Kulturpflege. Hier wendet sich die Kritik des Autors vor allem gegen die eigene deutsche Klientel, die in einer polarisierenden Selbstzensur den eigenen Kulturkreis aushöhle. Einen weiteren Missstand meint Buschkowsky in der Vollkasko-Mentalität vieler Migranten zu erkennen, die zu wenig Eigenverantwortung übernähmen. Stattdessen würden sie fordernd die Hände aufhalten und das soziale Netz in Deutschland mit Spott überziehen. Der soziale Ausgleich würde vor allem von arbeitsfernen und -unwilligen Menschen mit Migrationshintergrund gefordert und damit ein einseitiges Nehmen ohne Geben provoziert.

Buschkowsky führt diese Nicht-Übereinstimmung mit den deutschen Wertesystemen vor allem auf die in den Familien vermittelte Gegenwelt zurück. Entsprechend erwartet er eine Verbesserung, wenn für Kinder ab dem 13. Lebensmonat der verpflichtende Besuch von Kindertagesstätten und Ganztagsschulen vorgeschrieben wäre. Nur so könne der schädigende Einfluss der Familien zurückgedrängt werden. Die Folge wäre, dass bereits den Kindern eine gesellschaftskonforme Wertewelt geboten und gelehrt werde. Gleichzeitig würden die kleinen Kinder sehr früh in einen deutschen Sprachzusammenhang gestellt und nachhaltiger die deutsche Sprache verinnerlichen. Eine positive Folge wäre auch, dass ihre späteren Berufschancen stiegen. Sprachkompetenz stuft der Autor als oberstes Gebot ein, da ein Großteil der Mitbürger mit Migrationshintergrund gravierende Sprachdefizite hätte. Dieses Ziel könnte jedoch nur erreicht werden, wenn involvierte Berufsgruppen eine bessere Ausbildung und Bezahlung erhalten würden. Entsprechend brauche es also auch auf staatlicher Seite Korrekturen, die dem Gedanken folgen: für eine bessere Integration mehr geben, um von den Mitgliedern der Gesellschaft für das Gemeinwohl mehr fordern zu können.

Insgesamt wirkt das Werk Die andere Gesellschaft wie eine Kollektion von Redebeiträgen, die für die Buchzusammenstellung mehr inhaltliche Abstimmung vertragen hätten. Der im teils saloppen Plauderstil vorgetragene Tenor ist ausgesprochen kritisch. Dennoch ist unübersehbar, dass Buschkowsky die Entwicklung einer integrierten Gesellschaft ein ernstes Anliegen ist. Note: 2/3 (ur) <<