>> In seiner umfassenden und klugen Analyse trifft Welzer den Nerv des Kapitalismus und seines Grundgesetzes, dass moderne Gesellschaften ohne Wirtschaftswachstum nicht funktionieren. Da dieses Wachstum aber mit einen exzessivem Verbrauch von endlichen Ressourcen einhergeht, liegt es auf der Hand, dass dieses Modell nicht ewig weiter funktionieren kann. Ökologie und Wachstum schließen sich aus. So weit, so schlecht. Die in der politischen Landschaft vorzufindenden Kritiken am System, von Greenpeace, über die Grünen und occupy bis hin zu Yunnus mit seinen Mikrokrediten taugen aber leider nach Welzers Ansicht auch nichts. „Es geht nicht um Korrekturen, sondern um Umkehr“. Die von grünen Vordenkern immer ins Feld geführten Effizienzsteigerungen („Faktor 5“) hätten bisher immer in Mehrproduktion gemündet. Der Protest sei zur bloßen Geste entlleert worden. Auch alle Klimakonferenzen bringen seiner Meinung nach nichts, da das Wissen keine hinreichende Voraussetzung dafür ist, die Verhältnisse zu ändern. (Ganz zu schweigen von dem Ressourcenverbrauch, der mit den gigantischen Konferenzen verbunden ist). Auch der von linker Seite vielfach propagierte „kritische Konsum“ oder „grünes Wachstum“ sind immer noch Konsum oder Wachstum und damit Teil des Systems, das die Welt unweigerlich an die Wand fährt. Was tun? fragte schon Lenin. Gibt es also doch kein richtiges Leben im falschen, wie Adorno postulierte? Und jetzt kommt’s: Adorno lag falsch, es gibt ein richtiges Leben im falschen. Was uns Welzer allerdings hier als vorbildhafte Handlungsmuster für „Selbst denken“ an einigen ausgewählten Beispielen präsentiert, wirkt doch zur vorher (wohl zurecht) geschwungenen Keule, seltsam niedlich und wenig überzeugend. Keine Appelle und Belehrungen mehr, sondern handeln, auch oder gerade im kleinen und vor allem: darüber reden und weitererzählen. Handlungsspielräume nutzen. Das klingt gut. In ihnen die versprochene „Anleitung zum Widerstand“ zu sehen, mag mir jedoch nicht gelingen. Note: 2/3 (ün)<<
>> Welzer liefert eine schonungslose Analyse – und ich befürchte eine im wesentlichen richtige – Analyse des Zivilisierungsmodells der Moderne. Da sich seiner Meinung nach Ökologie und Wachstum ausschließen, sieht er die „Rückgewinnung von Zukunftsfähigkeit“ nur in einer „Gemeinwohlökonomie“, die auch bereit ist, Wohlstandsverluste in Kauf zu nehmen. Das Konzept einer Abkehr von der „expansiven Moderne“ hin zur einer „reduktiven, nachhaltigen Moderne“ setzt Einsicht in die Notwendigkeit voraus . Ist diese vorhanden, ist der Schritt zum „Selbst handeln“ noch schwieriger, erscheint doch das richtige Leben im Falschen möglich. Wo die Einsicht in die Notwendigkeit fehlt und sie muss vor allem bei denjenigen fehlen, die weit weit außerhalb der „Komfortzone“ leben, ist Welzers „Utopie der Zivilisierung durch Weniger“ keine Perspektive. Welzers Beispiele gelungener wenn auch sehr bescheidener Gegenentwürfe am Ende seines Buches zeigen die Richtung. Sein Appell, es gebe kein plausibles Argument nichts zu tun, ist auch bei mir angekommen – Konsequenzen? Ein Arbeitsauftrag für unser LQ. Note: 2/3 (ai) (nachgebessert)<<
>> Als politökologischer Kritiker der Gegenwartskultur des „Alles immer“ geißelt Welzer in einer essayistischen Sammlung die letztlich vernichtende Praxis der globalen Produzenten und dankbar-gierigen Konsumenten, deren Ressourcenverbrauch zum Zusammenbruch der Wirtschaftssysteme führen müsse. Der Hochgeschwindigkeitskonsum des Kapitalismus habe eine Konsum Insuffizienz bei Endverbrauchern erzeugt, die noch effizienter als die des weitgehend überwundenen Kommunismus sei. Dabei sei der Eingriff in das komplexe Planetensystem Erde so einschneidend, dass die Gegenwart bereits als erdgeschichtliches Zeitalter des Anthropozän aufgefasst werden könnte, da kein anderer Einfluss den Globus so stark verändere wie der Mensch. Die Lebensgrundlagen schwinden, weil der Konsum qualitativ und quantitativ immer schneller auf einen Höhepunkt zugespitzt werde, wonach es nur einen umso rapideren Absturz geben könne. Entsprechend charakterisiert Welzer die Jetzt-Zeit als reduktive Moderne und klassifiziert den Ist-Zustand als Diktatur der Gegenwart auf Kosten der Zukunft. Der Kapitalismus sei dank seiner Produktivität das erfolgreichste Wirtschaftssystem, das letztlich sehr effizient flächendeckend Lebensstandards hebe und dies über die Globalisierung geradezu infektiös exportiere. Dies bleibe auch gültig, obwohl es viele Verlierer gäbe. Gleichzeitig müsse objektiv eine gewisse Humanisierung zugegeben werden, da zum Beispiel die Zahl der kriegsbedingten Toten im Laufe der Jahrhunderte relativ gesehen deutlich abgenommen hätte. Während in vormodernen Gesellschaften noch 13% aller Toten Kriegsopfer gewesen wären, würden auf Grund der explodierenden Bevölkerung die 180 Millionen Kriegstoten des 20. Jahrhunderts „nur noch“ 3% ausmachen. Der Absturz aus der Komfortzone sei jedoch zwingend, wenn nicht die Etablierung einer Gemeinwohlökologie gelänge.
Ansätze der ökologischen Bewusstseinswerdung seien evident. Hierzu zähle die Gründung der Grünen und das ubiquitäre Ergrünen etablierter Parteien, die Kampagnenaktionen von Greenpeace oder strategischer Konsum, bei dem Produkte öffentlich-angeprangerter Unternehmen zeitweise boykottiert werden. Mikrokredite auf dem subindischen Kontinent an Kleinunternehmer seien jedoch nur vordergründig hilfreich, da die Verschuldung der Einzelnen kontraproduktiv sei. Letztlich werde der ökonomische Totalitarismus nur bisher noch nicht erreichte Komsumentenpopulationen erschließen wollen. Interessanterweise sei auch Wissen kein Schlüssel zur Lösung der Probleme, da lediglich eine Wissenskonsumgesllschaft etabliert werde, die zwar von jedem iPhone das Weltwissen aufrufen könne, dies aber nicht zu weiseren Handlungen führen werde. „Wissen ist Macht“ hat an Bedeutung eingebüßt.
Stattdessen plädiert Welzer für eine innere und äußere Verlangsamung in einer Ökonomie mit mehr moralischer Intelligenz und Selbstwirksamkeit der Einzelnen. Zahlreiche Beispiele werden zitiert, die unter der Überschrift „Selbst denken“ konkrete Ideen liefern sollen: das Schweizer Eisenbahnsystem, die alternative Trinklimonade Bionade, die dörfliche Energiegenossenschaft, die Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken GLS, die Wiedereinführung ursprünglicher Hawaii Katamarane für den Warentransport, die Spenden bestückte Givebox und anderes. Gemeinsames Merkmal dieser Ansätze sei Bescheidenheit, erhöhte Belastbarkeit und Widerstandsfähigkeit (Resilienz), Ressourcenschonung, Gemeinwohl statt Egoismus und drastisch verminderte Umweltbelastung. Eine Annäherung an Gemeinwohl-orientierte Gedanken sei der Ansatz, Dinge vorausschauend im Futur-2 zu betrachten. Am Ende überrascht Welzer mit 12 Widerstandregeln, die u.a. hervorheben, dass es auf jeden Einzelnen ankommt und jeder in der Tat die Möglichkeit habe, etwas zu verändern. Bedauerlicherweise folgt das Buch keiner stringenten Abfolge. Stattdessen erscheinen die 67 Kurzkapitel wie eine kollektive Verwertung verstreuter Präsentationen, die darüber hinaus unterschiedliche Stilformate aufweisen. Eine ordnende Zusammenstellung der Kapitelthemen wäre didaktisch wertvoll gewesen und hätte der politischen Vermittlung geholfen. Oder untergräbt die neue Lehre sich selbst: „Wie überhaupt die Zeit der Belehrungen (auch durch dieses Buch?) vorbei ist; es gibt ja keine gelernten Experten für Transformation.“ (S. 198)? Note: 2/3 (ur)<<
>>Der Honorarprofessor für Transformationsdesign (Uni Flensburg) und Sozialpsychologie (Sankt Gallen) versucht den großen Rundumschlag:
Der Kapitalismus ist an seine Grenzen gestoßen. Durch Übernutzung des Planeten und Ressourcenverschwendung zerstört er das Positive (Wohlstand, Gesundheitssystem, Bildungswesen usw., das er geschaffen habe, weil die Funktionsvoraussetzungen wegfallen. Welzer benennt und kritisiert eine Fülle von Fehlentwicklungen (u.a. die Verschrottungsprämie 2009, Formel 1 in Bahrein, Konsumismus, Emissionshandel, Konferenzmarathone zum Klimawandel und anderen Mißstände und allgemein die Lebensweise des „ALLES IMMER“). Die Grünen hält er für technikgläubig, Mikrokredite (Grameen-Bank, Bangladesch) lehnt er wegen des Zinssatzes von 20% ab. Welch astronomische Zinssätze die Kredithaie in den Dörfern Bangladeschs fordern scheint er zu ignorieren. Welzer fordert andere Modelle des Verteilens. Abgeben, Verzicht und Teilen sind angesagt. Vernünftige Forderungen, die auch schon in der 2011 veröffentlichten Broschüre „Umwelt-Tipps“ des BUND Baden-Württemberg auf Seite15 finden sind: „Ressourcen sparen durch Leihen, Teilen und Secondhand“. Aber Richtiges wird durch Wiederholen nicht falsch. Im letzten Drittel des Buches zählt er Beispiele mit Zukunft und Vorbildcharakter auf. Er beginnt mit den Schönauer Stromrebellen, erwähnt Plus Energiehäuser, die GLS-Bank, Bionade (?), Carsharing, die Zeitarbeitfirma Paulmann und auch die Theatergruppe Rimini Protokoll. Insgesamt gilt: mehr reparieren, mehr tauschen, weniger konsumieren. Überraschend das Kapitel „Tod“ (S.208). Die entzauberte Moderne ohne Jenseitsvorstellung hat keinen Platz für ihn. Mit dem Tod konfrontiert verliert alles bisher Wichtige an Bedeutung, es bleiben „die berühmten letzten Dinge“. Welzer würdigt die verdienstvolle Arbeit der Hospize. Bei allem Wohlwollen hinterlässt das Buch doch immer wieder den Eindruck eines Sammelsuriums. Einige Graphiken, Zeichnungen oder Karikaturen rufen nach der ordnenden Hand eines Lektorats. Am banalsten wirken auf mich die „12 Regeln für einen erfolgreichen Widerstand“ auf der Innenseite des Einbands: „Rechnen Sie mit Rückschlägen, vor allem solchen, die von Ihnen selber ausgehen“. (auch auf Seite 293). Oder fast genau so schön: „Wie Ihr Widerstand aussieht, hängt von Ihren Möglichkeiten ab“. Wunderbar. Nachdem ich mich durch das häppchenförmig geschriebene Buch durchgeackert habe, bin ich kurzfristig zu erschöpft um Widerstand zu leisten. Note: 3 (ax)<<