Der letzte Harem- Peter Prange

harem Droemer 2007,   573 Seiten.      

>> Ein Taifun der Bedeutungslosigkeit wird diesen Roman begleiten. Anders als den männlichen Romanfiguren, denen in steter oder stehender Regelmäßigkeit nur das Eine anschwoll, schwoll mir mit zunehmend seichter Lektüre der Kamm. Nein danke, auch geschenkt keine Fahrkarte zum Gare du Nord um sich am orientalischen Ringelpiez zu langweilen. Die Überschrift  „Dichtung und Wahrheit“  auf S. 563 eine Verhöhnung der Kategorie  „Dichtung“. Lektor – bitte melden Tel.: 0711- 82319 . Note: 6 (ai)<<

>>Auf seiner website www.peter-prange.de erklärt der Autor erfreulich offen, dass „er lieber gute Bücher übersetzt, als selbst schlechte zu schreiben“. Warum sich Peter Prange bei „Der letzte Harem“ nicht an diese Maxime gehalten hat, bleibt ein Rätsel.
keine Note (ün)<<

>>Prange wählt den letzten osmanischen Harem als symbolträchtigen Ausgangspunkt für die Schicksalsstränge zweier unterschiedlicher Frauencharaktere an eben jenem historischen Wendepunkt, an dem das feudale Sultanat Konstantinopels zur neuzeitlichen Türkei aufbricht. Opfer dieses Umbruchs sind nicht nur Mächtige, Machtstrukturen und privilegierte Einrichtungen wie der traditionsreiche Harem als religiös begründetes Herrscherbordell. Opfer sind auch Tausende von Haremssklavinnen, die schlagartig aus einem Zustand völliger Abhängigkeit in eine sie grenzenlos überfordernde Gegenwartsnormalität katapultiert werden. Prange nutzt diesen Moment gesellschaftlicher Verwerfungen um mit den zentralen Frauengestalten Elisa und Fatima antagonistische Lebensmotive einander gegenüberzustellen: einerseits der Versuch der Anpassung an verbleibende Privilegien und anderseits ein Opfer fordernder Weg der Selbstbestimmung. Der literarisch-konzeptionelle Ansatz ist bemerkenswert. Um es jedoch vorwegzunehmen: die Ausgestaltung des Plots erreicht kaum das Niveau eines romantisierenden Heimatmelodrams, in dem auf keine noch so nahe liegende Affekthascherei verzichtet wird.
Die 9-jährige muslimische Fatima und die armenisch-christliche Elisa werden nach dem gegenseitigen Gemetzel ihrer Familien von einem Mädchenhändler als Waise in den Harem des Sultan überführt, wo sie während der nächsten 9 Jahre zu geschulten, unterwürfigen Mitgliedern des 5.000 Seelen umfassenden, hierarchisch streng organisierten Harems ausgebildet werden. Der edlen, mandeläugigen Fatima gelingt es die Begierde des Sultans auf sich zu lenken. Die weniger attraktive Elisa dagegen erlangt die Dankbarkeit des Sultans, nachdem sie ihn vor einem Attentat bewahrte. Selbst ihre auf Freiheit bedachte Weigerung, das Bett mit ihm zu teilen, sieht er ihr nach und macht sie stattdessen zu seiner täglichen Vorleserin.

Der Harem rekrutiert sich ausschließlich aus freiheitsberaubten Menschen, denn sowohl die Frauen wie auch die Eunuchen sind zwangsrekrutiert. In einer der wenigen tiefgründigen Passagen des Buches wird nachvollzogen, wie die meist schwarzen Eunuchen unter der geschlechtlichen Totalverstümmelung leiden, die sie nicht nur in eine Geschlechts- sondern auch in eine dauerhafte Identitätslosigkeit stürzt. An dieser Stelle entwickelt Prange die männlichen Begleiter von Fatima und Elisa, wobei kultivierte Gründlichkeit als deutscher Direktimport (Möbius) auf vorderasiatische Barbarei (General Taifun) trifft. Der Arzt Möbius wird an den Harem berufen, um die sich ausbreitende Tuberkulose zu bekämpfen. Während seiner Impfkampagnen wird er von Elisa auf die todkranke Fatima aufmerksam gemacht. Sie ist inzwischen vom Sultan schwanger und wird im Intrigen durchseuchten Harem von ihrer Konkurrentin Saliha, deren Sohn zur Sultan-Nachfolge auserkoren ist und dieses Privileg jetzt zu verlieren droht, schleichend vergiftet. Elisa kann den Sultan nicht überzeugen einzugreifen, da er an die Schicksalhaftigkeit der Ereignisse und das Privileg des Stärkeren glaubt, auch wenn dabei seine Favoritin Fatima zu Tode kommt. Dies ist für den geneigten Leser zwar schwer nachvollziehbar, wo doch sonst kaum etwas dem Schicksal überlassen wird, doch kann der literarische Dampftopf durch weitere Ungereimtheiten weiter angeheizt werden. Möbius gelingt es selbstverständlich via mitternächtlicher Gewölbelabyrinth-Odyssee Fatima ein Gegengift zu verabreichen, worauf sie später einen gesunden Sohn gebärt. Nachdem der Eingriff ruchbar wird, lässt der Sultan Fatima, Elisa und Möbius einkerkern. Die Schicksalsnähe macht es dem Autor leicht, an dieser Stelle auch ein gemeinsames Herzflimmern von Elisa und Möbius vorzubereiten. Inzwischen überschlagen sich die innenpolitischen Ereignisse des Jahres 1909. Der Sultan wird entmachtet, der Harem aufgelöst und seine Zwangsrekruten befreit.

Während die meisten Haremsdamen von Verwandten aufgenommen werden, bleibt Elisa im alten Sultanspalast zurück. Fatima dagegen wird von General Taifun aufgegriffen, muss jedoch ihren Sohn bei Elisa zurücklassen. Dieser wird – wie wir es erwarten dürfen – in dem Moment von Taifun entführt und heimlich an den Sultan ins Exil ausgeliefert als Elisa sich Möbius zum ersten Mal mit ganzem Leib hingibt. Fatima wird vorgetäuscht, dass Elisa die Verantwortung für den Verlust des geliebten Sohns trage, was planmäßig die Beziehung zwischen Fatima und Elisa nachhaltig ruiniert. Während dessen verfällt Taifun in eine tyrannische Liebe Fatima gegenüber. Zwischen körperlicher Gewalt und aufrichtiger Zuneigung bleibt Fatima von Taifun angezogen, heiratet ihn und rückt in den Machtbereich der neuen türkischen Elite auf. Dem äußeren Aufstieg folgt der innere Absturz begleitet von Tabletten- und Alkoholsucht, da Fatima am Verlust ihres Sohnes zerbricht. Zur gleichen Zeit irrt Elisa völlig verarmt und von wiederholten sexuellen Übergriffen bedroht, durch das Hinterland bis sie sich einer Gauklergruppe anschließen kann, in der sie ihren zukünftigen Lebensabschnittsgefährten Aram kennenlernt. Erwartungsgemäß fehlt der Beziehung die entscheidende Tiefe um dramaturgisch noch eine Herzkammer für Möbius freihalten zu können.

Der zwischenzeitlich ausgewiesene Möbius wird in die Türkei zurück berufen, die im ausgebrochenen ersten Weltkrieg zu einem ruinösen Politspiel an der Seite Deutschlands angetreten ist. Für die historisch belastete Armenierfrage wird innenpolitisch ein Genozidprogramm entworfen, bei dem Möbius vom Schriftsteller auf die spannungsträchtige Absturzkante gestellt wird: entweder er kollaboriert als impfender Dr. Mengele Armenier vor dem Abtransport im Viehwaggon oder er schlägt sich auf die Seite der Unterdrückten. Konzeptgemäß muss er sich jedoch als Vertreter der Aufrichtigkeit zunächst durch Leichenberge quälen, die sich in armenischen Gebirgsbächen und Wüsten auftürmen, bis er am tiefsten Punkt der Grauenhaftigkeit Elisa findet, die gerade vergewaltigt werden soll jedoch nicht wird, weil Aram als Freiheitskämpfer aus dem Nichts kommend pünktlich den Täter erschlägt. Auch jetzt bleibt Möbius unbefleckt. Die Männer einigen sich schweigend und im Sinne des Schriftstellers, indem Aram wortlos das Feld räumt um einer lange verzögerten Liebe Platz zu machen. Dass Taifun der Oberschlächter in diesem schaurigen Geschäft ist, überrascht uns nicht. Auch nicht, dass Fatima langsam von den blutigen Händen ihres Gatten angewidert wird. Damit wird uns als Leser klar, dass mit Fatimas Entfremdung von Taifun zum einen seine Bestrafung und zum anderen ihre Annäherung an Elisa bevorsteht. Ein gutes Melotrauma braucht gerade für solche Wendepunkte ein gefühlsbetontes Medium, sonst wäre wertvolles Erzählterrain verschenkt. In diesem Falle drängt sich natürlich das Doppelpack „Verlorener Sohn plus Nebenbuhlerin“ auf – und schwups – stehen Mesut und Saliha schon auf der Erzählbühne.

Taifun versucht ein letztes Mal das Herz seiner Angebeteten zu erweichen, indem er ihren Sohn Mesut von Saliha zurückholt, die nach dem Tode des Sultans dessen Sohn großzog. Er wird von den Frauen mit der jetzt endlich aufblühenden Intuition durchschaut, und im gleichen Moment für die Gräueltaten in Armenien vom Arm des Gesetzes verfolgt. Weil hier noch ein wenig Platz für Autorenfantasie war, ermöglicht Prange dem Tyrann Taifun während des Gerichtstermins angeschossen in einem U-Boot zu entkommen. Erschossen wird Taifun erst nach seiner Emigration zum Bündnispartner in Berlin. Von wem? – natürlich vom ausdauernden Freiheitskämpfer Aram. Ein einsamer Mann, aber nachhaltig gerecht, wenn auch nicht rechtens. Dass ausgerechnet Möbius zu guter letzt noch die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen mit einer Geldübergabe zurechtrücken soll, verblüfft dann doch. Glücklicherweise wird ihm rechtzeitig der Millionenkoffer entwendet, so dass das Schicksal ihm auch diese Schuld erspart.

Zum vorläufigen Ende nochmals ein Tränensack aufblähender Emotionshöhepunkt. Mesut erkennt seine leibliche Mutter nicht und fühlt sich zutiefst bedroht. Zwischen leiblicher (Fatima) und Ziehmutter (Saliha) innerlich zerrissen, zieht Mesut sich in einen autistischen Kokon zurück, aus dem heraus er nur noch Vogelstimmen imitiert, aber nicht mehr spricht. Die Loslösung von der ins Herz geschlossenen Ziehmutter gelingt erst mit einem symbolischen Totschlag, als Saliha Mesut versehentlich eine Treppe hinunter stößt. Dass just in diesem Moment Elisa als finale Mediatorin auftritt, ist selbstverständlich. Die Inszenierung der Szene lässt keine Wünsche offen: Elisa erzählt das Märchen von der Prinzessin Fatima und ihrem verlorenen Sohn, drückt dem Buben ein Saiteninstrument in die Hand, worauf dieser die Geschichte auch ohne musikalische Vorkenntnisse sofort vertont und zur Sprache sowie seiner eigentlichen Mutter zurückfindet. Gute Musik öffnet eben Herzen und neuronale Sprachzentren.
Dann der Schlussschmalz. Möbius musste in den Kriegswirren Istanbul verlassen, sitzt jetzt als Institutsdirektor verheiratet am Berliner Küchentisch und liest Zeitung. Ein Bericht über eine gerühmte Musikantengruppe lässt ihn aufhorchen: zwei waschechte Haremsdamen und ihr Sohn tingeln durch Europas Hauptstädte und singen Haremslieder unter dem tosenden Beifall einer kriegsgeschädigten Generation. Sollte er hinfahren und Elisa, Saliha und Mesut  wieder sehen? Zwei Tage hätte er Zeit…

Schade – ein Werk, das offensichtlich als oberflächliches Filmbuch verfasst wurde ohne den Protagonisten Charaktertiefe zu geben. Statt dessen setzt der Autor auf die Maximierung gefühlslastiger Effektfeuerwerke. Anerkennend bleibt zu loben, dass Prange wieder in bekannter Gründlichkeit eine Vielzahl historischer Details in den Plot einarbeitete. Das Buch bleibt sprachlich unauffällig hat aber einen gewichtigen Kern, aus dem man in jeder Hinsicht viel hätte machen können. Vielleicht beim nächsten Mal wieder.
Note: 4 (ur)<<

>> „Zwei Frauen zwischen Orient und Okzident“  liest man auf der Rückseite des Buches.
Fatima und Eliza heißen die beiden Protagonistinnen, deren aufregendes Leben detailreich geschildert wird.Der Roman beginnt 1895 in der hinteren Türkei und endet 1923 in Berlin. Er ist in relativ kurze Kapitel aufgeteilt, die wie bei einem Fortsetzungsroman oft offen enden. So wird Spannung produziert, was die Lektüre erleichtert. Das Buch regt an, sich genauer mit der jüngeren Geschichte der Türkei zu beschäftigen. Es macht aber auch deutlich, wie schwierig es ist, erotische Szenen so zu schildern, dass sie erotisierend wirken. So scheint mir beispielsweise die  Feigenmetaphorik nicht sehr gelungen.
Eine Verfilmung des Romans wäre vermutlich reizvoll. Note: 4 (ax)<<