Dumont 2015 | 272 Seiten.
>> Ein aufregendes Szenario. 2022 nach Christi Geburt zieht im Nachbarland Frankreich, oft auch die „älteste Tochter der Kirche“ genannt, ein muslimischer Präsident in den Elysée-Palast ein. Ein Bündnis zwischen der Bruderschaft der Muslime und der Linken machte es möglich. Nur so konnte die Kandidatin des Front National verhindert werden. Utopie? Der neue Bürgermeister von London und die Landtagspräsidentin von Baden-Württemberg sind beide korangläubig. Warum auch nicht. Es läuft alles erst mal ganz passabel in Gallien, wenn man von den Ausgaben für Bildung absieht. Die Kriminalität in den Vorstädten sinkt und die Arbeitslosigkeit auch. Letztere, weil die Frauen den Arbeitsmarkt zugunsten der Küche entlasten. François, zynische und desillusionierte Hauptfigur des Romans, bekommt nach der Konversion zum Islam drei Frauen zugewiesen. Für ihn ein Glücksfall. Und er kann als Literaturprofessor an der islamischen Sorbonne weiter lehren. Die Eliten des Landes sind erschöpft, apathisch; kein Mumm, um die Werte der französischen Revolution zu verteidigen. Die Angst, Islamkritik könnte als Rassismus verstanden werden, lähmt. Dann lieber mentale Kollaboration. Besser unter- als überwerfen. Hätte es Autor Michel Houellebecq doch bei diesem Plot belassen. Leider zieht sich durch den ganzen Roman das Drama des Joris-Karl Huysmans, der als Naturalist begann, Nihilist wurde und schließlich zum Katholiken konvertierte. Teilweise spiegelt sich darin der Weg François` vom Atheisten zum Muslim wieder. Der Roman enthält satirische und komödiantische Momente. Ersteres zum Beispiel, wenn der Professor das Frauenwahlrecht als einen historischen Irrtum darstellt. Letzteres in der Schilderung des Wissenschaftsbetriebes. Trefflich gelungen in der Schilderung des karrieregeilen Unirektors Rediger, der die Meinung vertritt, dass der Gipfel des menschlichen Glücks in der absoluten Unterwerfung bestehe. Die breit ausgetretenen professoralen Abenteuer mit Studentinnen wirken eher überflüssig. „Unterwerfung“ erschien am Tag des Überfalls auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“. Zwölf Menschen wurden ermordet, darunter ein Freund Houellebecqs. Ironie des Schicksals? Seine Feststellung, der Islam sei die dümmste aller Religionen, nahm der Schriftsteller wieder zurück, nachdem er von verschiedenen Islamverbänden angezeigt worden war. Inzwischen wurde der Roman auf die Bühne gebracht (Deutsches Theater Berlin und Hamburger Schauspielhaus). Die Leistung des beeindruckenden Schauspielers Edgar Selge (Hamburg) lassen den SPIEGEL vom „Bühnenereignis der Saison“ und einem „Triumph der Angstlust“ sprechen (12. März 2016). Vielleicht ist das Theaterstück besser als der Roman? Eine Verfilmung halte ich nicht für zwingend. Note: 3 (ax)
>> Ja, das hätte ein interessanter Roman werden können. Im Vordergrund der schleichende Verfall der 44-jährigen Hauptfigur Francois, eines anerkannten Huysmannkenners und Professors an der literaturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Paris III Sorbonne, im Hintergrund der selbstverschuldete Untergang des europäischen Abendlandes, der im Jahre 2022 in Frankreich mit der Regierung der nationalen Einheit unter dem 1. Islamischen Präsidenten Mohammed Ben Abbas seinen Höhepunkt findet. Um Le Pen zu verhindern, gehen Sozialisten und Muslim-bruderschaft eine Koalition ein, deren vor allem strategische innenpoltische Ausrichtung mit der Konzentration auf muslimische Erziehungs- und Bildungsdoktrin einen das Fürchten lehren müsste. Dass sowohl die Bewegung der Identitären, vor allem aber die Rolle der FN in diesem Prozess aus dem Focus gerät, bleibt unverständlich. Während uns Houllebecq im 1. Teil seines Romans vor allem einen Einblick in die Niederungen der literaturwisssenschaftlichen Universität Sorbonne liefert (Selbstrekrutierung vermeintlicher Eliten, abseitige Forschungsgebiete als Qualitätsmerkmal, Intrigen, pädagogische Inkompetenz, vor allem aber Muschilecken der Präsidentin als Karriere-sprung, Eintagewoche von Prof. Francois am Mittwoch mit ausgiebigem Zeitbudget für immer nur willige Studentinnen (Francois Kollegen sind auch munter mit dabei) etc. bestimmt den gelungeneren 2. Teil stärker der subtile Unterwanderungsprozess des Hochschulrats durch muslimische Bruderschaften und Salafisten unter bereitwilliger Mitwirkung willfähriger Konvertiten wie dem späteren Präsidenten Rediger bis hin zur „saudiarabischen Machtergreifung“ und Neueröffnung der islamischen Universität Sorbonne. Das ist der stärkste Teil des Romans. Ermüdend ist für den nichtfrankophilen Leser Francois‘ immer wieder bemühter Rückgriff auf sein Alter Ego, den Dekadenzschriftsteller Huysmann. Zitate ohne Kontext aus in Deutschland meist unbekannten Romanen – was solls? Auch der Unterhaltungswert von Francois‘ Sexualleben (S.86/87 Verhältnis des stets präsenten Organs „Schwanz“ zum zunehmend abnehmenden „Geistesleben“!) ist gering, das Frauenbild Francois‘ „Dirne oder Kochtopffrau“ unterirdisch, „Schlampe Babeth“, die tunesische Muslima Nadia und ihre „gangbangs“ Verlockungen, die Escortdienste – etwas des Schlechten zu viel um Francois als das zu zeichnen, was er ist: ein einsamer Elfenbeinintellektueller, Huysmannbücherwurm, Alk, bindungsunfähig –Myriam eine kleine vergebliche Hoffnung-, unpolitisch und diskursunfähig, dem ausgemachten geschichts-philosophischen Stuss, den Rediger bei seinem Besuch zum Besten gibt, weiß er nichts entgegenzusetzen (auch nicht der Realsatire „Zehn Fragen zum Islam“) und so verwundert nichts, dass er dort endet, wo andere wie sein Gesprächsgegenüber – allerdings nach Phasen des radikalen Humanismus, des Katholizismus, der identitären Bewegung – enden, in der Ideologie des Islam mit der Gewissheit von gesicherter Bedienung durch Dirne und Kochtopf.
Nein, auf diese Literaturwissenschafter ist im Kampf gegen den vermeintlichen Untergang des Abendlands kein Verlass. Note: 3/4 (ai) <<
>> Die identitäre Bewegung marschiert in Österreich, in der Hauptstadt Großbritanniens wurde ein Muslim Stadtoberhaupt, in den Niederlanden hat sich erstmals eine muslimische Partei gegründet, in Frankreich ist der Front National die stärkste politische Kraft, das politische Europa zerlegt sich zur Zeit selbst. Nein, man kann Michel Houellebecq wahrlich nicht vorwerfen, dass die Parameter seiner politisch wie literarisch äußerst reizvollen Versuchsanordnung völlig unrealistisch seien: Im Frankreich des Jahres 2022 koalieren die Sozialisten mit der Partei der Muslimbrüder, um einen Präsidenten des Front National zu verhindern. Der „gemäßigte“ Muslim Ben Abbes wird Präsident. Ganz behutsam verändert sich die französische Gesellschaft. Banden und Dealer aber auch Miniröcke verschwinden nach und nach aus dem Stadtbild. Auch an der Universität Sorbonne, an der Houellebecqs Protagonist Francois lehrt verändert sich einiges. Studentinnen in Burka treten selbstbewusster auf als bisher, Israel wird boykottiert, eine Zweigstelle in Dubai wird gegründet, die ganze Uni schließlich , nachdem sich Katar die Uni in Oxford unter den Nagel gerissen hat, von den Saudis übernommen und mit üppigen finanziellen Mitteln ausgestattet.
An der Uni herrscht ein seltsames Desinteresse an den Veränderungen. Die meisten Hochschullehrer fühlen sich unantastbar. Bald schon stellt sich aber heraus, dass Professoren, die ideologisch nicht mehr genehm sind, mit vollem Gehalt in Pension geschickt werden, die anderen 3-faches Salär und weitere Annehmlichkeiten erhalten. Und hier sind wir beim Kern des Romans: Es ist meines Erachtens nach völlig falsch, den Roman in erster Linie als gegen den Islam gerichtet zu sehen. Vielmehr geht es um das Versagen der sogenannten geistigen und politischen Eliten in Frankreich, ihre Korrumpierbarkeit und ihre bereitwillige Kollaboration mit rückwärtsgerichteten Kräften. Es sind schließlich die Sozialisten, die den Muslimbrüdern große Zugeständnisse machen. Diese verzichten auf viele Ministerien, um Zugriff auf das Bildungs-ministeriums zu bekommen, für sie folgerichtig der Schlüssel zu allen Veränderungen. Die Erziehung wird islamisch ausgerichtet und am Koran orientiert. Das Pendant halt zur christlichen Erziehung und einem christlich geprägten Menschenbild. Wer das nicht will, wird auf Privatschulen verwiesen. Die Bildungsausgaben sinken dramatisch, da die Schulpflicht mit 12 Jahren endet, ebenso sinken die Sozialausgaben, da die Familien gestärkt werden und viele sozialen Aufgaben übernehmen sollen. Ben Abbes schwebt ein Europa der Mittelmeerländer vor, in dem das Kraftzentrum nach Süden verlagert wird und Algerien, Tunesien und Marokko Mitglied der EU sind. Angesichts der Fliehkräfte, die Europa zurzeit heimsuchen, ein zumindest ein interessanter Gedanke. Houellebecq ist Europaskeptiker, das ist bekannt. Das christliche Europa, das es einmal gab, ist seinem Befund nach verschwunden.
Auch Francois erliegt nach anfänglichem Rauswurf aus der Uni und folgenden schweren depressiven Phasen, schließlich einem persönlichen Rückruf des Unipräsidenten Rediger, einem Konvertiten, der in seinen Anfangsjahren mit der Identitären Bewegung sympathisiert hat. Er wohnt ausgerechnet in dem Haus, in dem die „Geschichte der O.“ geschrieben wurde, in dem es um die Unterwerfung der Frau unter den Mann geht. Für Rediger eine Parabel für die ebenso lustvolle Unterwerfung des Menschen unter den Islam. Rediger würde Francois bei seinem Status durchaus gleich 3 Ehefrauen zugestehen und regt die Einschaltung von Heiratsvermittlerinnen an. Francois, der sich bisher mit Escort-Sex und viel Alkohol durchgeschlagen hat, beginnt diesen Gedanken etwas abzugewinnen. Er meint, dass sich seine akademische Laufbahn vollendet hat und es „ noch was anderes gibt“.
Houellebecq ist mit seinem reizvollen Gedankenexperiment ein kluges und überaus spannendes Buch gelungen, das den Finger in viele Wunden legt. Note 2+ (ün) <<
>> Mit der Unterwerfung nagelt Houellebecq provokante Thesen an die zeitgenössischen Kirchentore: „Der grandiose Gedanke, dass der Gipfel des menschlichen Glücks in der absoluten Unterwerfung besteht.“ Insbesondere als „Verbindung zwischen der unbedingten Unterwerfung der Frau unter den Mann … und der Unterwerfung unter Gott, wie sie der Islam anstrebt“. So gepredigt von Houellebecqs Rektor der Pariser Elite Universität Sorbonne. Wörtlich genommen nichts anderes als die direkte Übersetzung von Islam: Unterwerfung.
Bei der französischen Präsidentschaftswahl kommt es zum gesellschaftspolitischen Showdown der etablierten Volksparteien mit ihren verfeindeten Herausforderern. Im Bemühen den Rechtsruck durch den Front National zu verhindern, dient sich die politische Mitte der erstarkten Muslimbruderschaft als Juniorpartner an. Die Folgen sind gravierend, vor allem im Bildungssektor, den die neue Machtelite als zentralen Hebel für einen gesellschaftlichen Wandel identifiziert. Die Hauptfigur des Romans François wird als Hochschullehrer mit anrüchigem Literaturschwerpunkt augenblicklich Opfer der Umwälzungen.François begegnet uns als dekadenter Vertreter der verwöhnten Zivilgesellschaft. Das Selbstverständnis lautet: Genuss, Geschlechtsverkehr und Gaumenfreuden. Nach einer einmaligen Leistung im Rahmen seiner schon fast vergessenen Doktorarbeit bemüht sich François die literaturwissenschaftlichen Lehrverpflichtungen seiner schlecht besuchten Vorlesungen an einem einzigen Wochentag abzuhandeln. Wohlwissend, dass die Anstrengungen seiner Studenten mühsamer sind als seine Herausforderungen, welche sich inzwischen darauf beschränken, in Restaurants die richtige Wahl treffen. Das Jetzt-Sein ist Selbstzweck und verlangt nach zweckfreien Endlosschleifen. Der Grund für seine sofortige Suspension ist Huysmans, dem er sein Forschungsengagement gewidmet hatte. Auch wenn Huysmans Literatur und Leben zweihundert Jahre zurückliegen, so erscheint dessen Bohème-Dasein nicht zufällig als intellektuelle Blaupause für François´ Lebensskript. Warme Weiber, frühes Betten in Beamtenkissen und Sinnkrisen. François spiegelt vielfältig sein Literatursujet.
In eingefahrenen Semesterrhythmen wechselt François die Studentinnen. Gelegentlich verweilen sie wie Myriam etwas länger und knittern nicht nur die Laken, sondern auch sein Herz. Die genitale Spannkraft bleibt die einzige unbehelligte Körperfunktion, während er sich als Mitvierziger bereits am ganzen Leib leidend fühlt. Gelangweilt durch den Tod seiner Mutter, vereinsamt da ohne Freunde und dennoch mit einer gewissen kritischen Distanz zu sich selbst, sucht er gelegentlich Sinnfragen, ohne allerdings fündig zu werden. François ist kein Sympathieträger. Houellebecq lässt ihn für den Zustand einer Gesellschaft stehen, die die Orientierung verloren hat.
Während gestern die Rechten noch mordend die Nation umpflügten, tritt unter der neuen muslimischen Führung augenblicklich Ruhe ein. Junkies und Damenwaden sind aus dem öffentlichen Bild verschwunden, Gesichter verschleiert, die Arbeitslosenzahlen befinden sich im freien Fall, die Frauen kehren an den steuerlich vergoldeten Herd zurück und überlassen den Arbeitsmarkt den Männern. Das staatliche Schulsystem wird zusammengeschmolzen, während aus dem arabischen Ausland subventionierte Koranschulen aufblühen wie die Sorbonne unter saudi-arabischer Hoheit. François flüchtet zunächst ziellos in die Provinz, mäandert vier Wochen haltlos durch Klöster und Kirchen ohne jedoch seinen Wendepunkt zu finden wie Huysmans, der am Lebensende als entleerter Atheist zum Katholizismus konvertierte. François bleibt der Verräter vor sich selbst, der nur dem oberflächlichen Eigennutz ohne Gesinnung folgen wird. Das letzte Kapitel des Buches suggeriert seine Unterwerfung, die Konversion zum Islam um seine alte Stelle mit weniger Inhalten antreten zu können. Sein aufgestocktes Gehalt sollte mindestens zwei Ehefrauen ermöglichen und damit seiner monumentalen Libido Genüge tun. Als Vermittler dieser Entwicklung tritt der neue Universitätsrektor Rediger auf, der Not hat, vakant gewordene Lehrstellen zu besetzen. Er kehrte enttäuscht der christlichen Zivilisation den Rücken, nachdem er deren Verfehlungen während der Weltkriege erleben musste. Zum Islam konvertiert, opponiert er gegen islamkritische Strömungen, agiert gegen Israel-Kooperationen im Forschungsbereich und beeindruckt die Öffentlichkeit mit einer auflagenstarken Zehn-Punkte Handreichung für den unsündigen Halāl Alltag.
Das neue Wertesystem mit veränderten Kennzahlen folgt jedoch der gleichen Arithmetik wie das alte. Bereicherung, Intrige, Neid, Egoismus, Intoleranz, Ungleichheit, Dekadenz bleiben unverrückbare Naturkonstanten. Houellebecq versteht es vor allem beim Thema Sexualität die fließenden Übergänge der Systeme vorzuführen. Man meint noch den herben Sperma-Vaginalgeschmack zu schmecken, als François aus seiner Tür tritt und sich die Pforte zu Redigers Wohnung auftut. Eine Fünfzehnjährige, die zweite Ehefrau des Uni-Präsidenten, huscht vorbei. Einmal ist es individuelle Zügellosigkeit, das andere Mal religiös legitimierte Hochkultur. Die Verpackung ist zwischen den Anschauungen verändert, der Inhalt kaum zu unterscheiden. Houellebecq widmet die ersten drei Kapitel vor allem den äußeren, politischen Umwälzungen, während die letzten beiden Kapitel das Augenmerk auf den inneren Persönlichkeitswandel richten. In diesen Zusammenhängen entwickelt der Autor ein Wechselspiel zwischen gesellschaftlichen und persönlichen Wertesystemen. Es sind Ebenen, die nicht nur einander spiegeln, sondern auch einander gestaltend verändern. Leider verliert Houellebecq sich unterwegs in ermüdenden Literaturergüssen, strapaziert die erogenen Zonen, vernachlässigt begonnene Handlungsstränge wie den aufkeimenden Bürgerkrieg der Rechten und schafft nicht wirklich den Spannungsbogen des ersten Teils in den zweiten zu retten. So bliebe in diesem intelligenten und realrelevanten Plot nicht nur gesellschaftlich sondern auch literarisch noch einiges zu tun. Note: 2/3 (ur) <<