Briefe aus Amerika – Joachim Zelter

 

Klöpfer & Meyer 2016 |   189 Seiten

>> Wieder mal ein Tübinger Autor. Joachim Zelter hat seine Briefe aus Amerika schon 1998 im Ithaka Verlag veröffentlicht und jetzt als „überarbeite“ Fassung nochmals bei Klöpfer Meyer herausgebracht. Darf man das? Eine Mogelpackung? Verlagstechnisch nachvollziehbar, der Zeitpunkt der Herausgabe mit der anstehenden Trumpwahl natürlich kalkuliert. Nun denn.
Der Protagonist Zelter erhält nach der Promotion eine Stelle an der ehrwürdigen Universität von Yale. Schon seine Kommunikation vorab mit der Unileitung steckt voller Mißverständnisse und kafkaesker Wendungen. Zelters Neigung zur Groteske entfaltet sich dann schon bei der Schilderung des Hinfluges, den der Ich Erzähler Zelter letztendlich komplett auf der Toilette verbringt, da es für ihn sonst keinen Sitzplatz gibt. Man ist als Leser also gewarnt. Mit der Realität hat das wenig gemein. Die Schilderungen es Unibetriebes sind stellenweise sehr amüsant, mit sehr gutem Blick für die Absonderlichkeiten der amerikanischen Psyche. Der völlig andere Zugang zur Didaktik wird etwa im Kapitel MODLAW höchste kreativ und amüsant beschrieben. Der unerschütterliche Glaube der Amerikaner an Rankings jeder Art ebenso, als er sehr witzig schildert, wie ihm seine Studenten nach und nach zu einer Konkurrenz Veranstaltung abhandenkommen. Wenn es Zelter nur nicht auch zunehmend deutlicher vorhersehbar mit seinen Überdehnungen ins Groteske übertreiben würde. Das wird dann schlicht zu viel. Am Ende wird die ganze Uni Yale  belagert und es entwickelt sich in der Stadt New Haven und letztlich auch in Yale eine Art Endzeitszenario, ein anomischer Zustand, der vielleicht auch ein Abbild von Zelters innerem Zustand und seinem Scheitern darstellen soll.
Note: 3 (ün)<<

>> Nein, die nach 5 Jahren entstandene Doktorarbeit unseres  Autor-Erzählers gerät nun nicht gerade zur „Laufbahnarbeit“. Vom Doktorvater zum Stipendium nach Yale geschickt , weggelobt oder entsorgt, beginnt die Leidensgeschichte des in geschliffenen Oxford-Englisch brillierenden Protagonisten. Trägt schon die einleitende deutsche Universitätsepisode Züge eine Realsatire, so wird der Sprung über den großen Teich zum irrwitzigen Labyrinth. Dass sich der promovierte Anglist, nicht uneitel immer wieder die Güte seiner Arbeit betonend, schon bei der reichlich grotesken Korrespondenz mit der Yale-Administration durch Naivität auszeichnet:  „Wie ich anreisen sollte?“   Wo denn Yale liege“ und  zur Beantwortung der Frage in Zeiten des Internets auch noch Landkarte und Reiseführer zu Rate zieht , lässt für den Doktor in great Amerika nichts Gutes ahnen. So bleibt auch unausweichlich, dass sich nach der Vorhölle von New Haven, dem ersten Sprachdesaster unseres Oxfordianers und seinem „Wohnungs-Loch“  der vermeintliche Zauber einer weltberühmten Universität als Biotop von Absonderlichkeiten und Absurditäten erweist. Erfreulich dass unser Autor wenigstens kurzfristig Lichtblicke ganz anderer bei  der deutschen Nachbarin findet, denn was liegt näher, als dass die frustrierte Ehefrau eines Yale-Wissenschaftlers, der ganztätig über das Verhalten der Fische arbeitet, gleich bei der ersten Begegnung „die Bluse öffnet“. Da hätte es des Weckers nicht bedurft. Ob mit der „five dollar“ Episode Vollzug gemeldet werden kann oder dem Herrn Doktor die sexuelle Vorstellung durchgebrannt ist, bleibt offen. Auf dem Campus gehts gar wenig akademisch ernsthaft zu. Eine Groteske jagt die nächste kulminierend im finalen Bild einer nach außen abgeriegelten Universität – aus der Luft versorgt durch Mc Donald Container. Ein literarisches Schmankerl  und ein literarischer Tiefpunkt finden sich in den Briefen. Nicht der Figur des omnipräsenten deutschen „Grammatologen“ und Fingerphilosophen Schwartz gilt meine Bewunderung sondern Professor Spivack, der mit seiner Sprachdidaktik in „Modlaw“ – the „Most difficult Language oft he Word“ eine geniale Satire auf simplifizierende Sprachdidaktik und tumbe Willfährigkeit von Sprachstudenten liefert. Mit dem Kapitel „Ein Bollwerk der Ruhe“ und der Hervorhebung der Vorleserin-Episode im abschließenden Kapitel  „Eine letzte Mail“ entgleitet dem Autor der Roman. Eingebettet in den Kontext einer amerikanischen Universitäts- und Gesellschaftssatire wird Auschwitz missbraucht,  wirkt die Schwermut und das Pathos der Szenerie bemüht konstruiert und völlig deplatziert Note: 4 (ai) <<

>>            Wenn ein deutscher Nachwuchsliterat in die amerikanische Fremde gerät. Wenn die Fremde Vorurteile als Untertreibung verblassen lässt. Wenn Nachbarn stundenlang Wecker klingeln lassen, um auf ihre Bedürftigkeit aufmerksam zu machen. Wenn Gelegenheitsprostituierte ihren Gebrauchswert auf 5 Dollar taxieren – nicht mehr und nicht weniger. Wenn auf dem Dach der Universitätssporthalle der Gebirgs-Wanderpfad angelegt ist. Wenn die Eliteuniversität zur umkämpften Trutzburg bei sozialen Aufständen wird. Wenn die gesichtslosen Massen die Nachbarschaft abfackeln. Wenn die schöne Studentin im berühmtesten Universitätsgarten bei jeder Wetterlage Namen rezitiert. Wenn das Buch, aus dem sie vorliest, doch kein Telefonbuch sondern eine Ausschwitzliste ist. Wenn die schöne Studentin in polizeiliche Obhut genommen wird. Wenn die Studierenden über den Deutschdozenten und Nachwuchsliteraten mit den Füßen abstimmen. Was macht dann ein Nachwuchsliterat vor leeren Hörsaalbänken? Und wer ist das überhaupt?

Zelter spricht über sich selbst. Verpackt in vermeintliche Briefe, die keinen Adressaten kennen, vielleicht nie geschrieben wurden mit Inhalten, die Fantasien des in der Fremde getrübten Auges sein könnten. So betrachtet, wären die äußeren Begebenheiten Spiegelungen der inneren Befindlichkeit des Autors. Vermutlich ist es so. In Briefe aus Amerika malt der Ich-Erzähler sein Spiegelbild als promovierter Anglist in der hässlichen Ostküstenstadt mit ihrer berühmten akademischen Perle Yale.

Zelter spricht über sich selbst, war er doch tatsächlich Dozent an der renommierten Yale Universität. Er beginnt die Briefsammlung in bunter Klarheit mit einer besonderen Weltsicht. Danach gliedert sich das akademische Universum in zwei Sphären: den sublunarischen Verlierer- und den translunarischen Gewinnerkosmos. Zelter sitzt im sublunarischen Dunkel auf einem viel zu kleinen Nebenmond, von dem sein Schreibtisch rutscht. Die Ehrfurcht ist so groß wie der Selbstzweifel. Die Unsinnigkeit aller Bemühungen wird Gegenstand von Beichten in der kopfschüttelnden Verwandtschaft. Und dennoch fühlt sich der Jungakademiker von den Lobgesängen seines Doktorvaters geschmeichelt und kokettiert mit den Verlockungen des politisch Abträglichen, mit dem Amerika, das man nicht mögen mag. Das Amerika, welches die elaborierte Intonation eines britischen Oxford-Englisch lächerlich macht. Also folgt Zelter dem Ruf in die Fremde. Zu süßlich klingen doch die Verzückungen seiner Yale-Gesprächspartner, als sie vergegenwärtigen, dass dieser junge Zelter ein ferner Spross des alten Zelter ist, der schon Goethe zur Seite stand.

Zelter gelangt auf der Klobrille im überbuchten Flugzeug in die Neue Welt, kämpft sich auf dem Kennedy Airport durch die Fangarme von Immigrationsbeamten und Taschendieben, lässt sich von der Trostlosigkeit der Überlandfahrt deprimieren, verweigert Pennern am Zielort die Rolle als Leibwächter, um schließlich im höchsten Haus in der längsten Straße das häßlichste Loch als Unterkunft zu beziehen.

Sein neuer Arbeitsplatz liegt auf dem neogotischen Campus in der gefährdeten Stadtmitte. Zur fortbildenden Einführung muss er sich in Yale zunächst einer didaktischen Erkenntniskur unterziehen, damit er fortan in der Lage sei, Studenten in 100 Tagen Deutsch beizubringen. Die Beispielsprache wird Modlaw genannt, hat fünfminütige Wortlängen und unter 300 Buchstaben fast nur Konsonanten. Neben dem Dativ bereichern Dekorativ und neben Neutrum auch Necrophilum die grammatikalische Vielfalt. Er verzweifelt. Ihm entgeht, dass das didaktische Ziel der Veranstaltung gerade nicht diese Sprachzumutung sondern Wissenschaftskritik ist. Warum wagt der Deutsche nicht den Unsinn zu hinterfragen – wird er am Ende gefragt werden. Wenige Briefstellen stellen den Blickwinkel selbst in Frage. Diese ist eine davon. Und zudem eine amüsante.

Er unterrichtet. Seine Zustimmungskurven fallen, Studenten versammeln sich bei dem Konkurrenten, bis er im akademischen Nahkampf mit der Waffengattung Leichte Konversation über deutsche Mülltrennung Boden gutmachen kann. Über allem schwebt bedrohlich der legendäre Imperator Schwartz von Studenten geliebt, von der Verwaltung hymnisch besungen, von Kollegen gefürchtet. Sein schwerstes Geschütz ist kurz, banal und schwer auffindbar: die eigene Doktorarbeit über den Finger in der Philosophie. Es fingere vor allem unter den Tischen der Philosophie. Von Diogenes sei bekannt: „Seht her, wie dieser weise Mann es sich mit den Fingern gutgehen ließ“. Und auch an der Unterwäsche von Hegel und Kant sei rumgefingert worden. Zelter macht Schwartz zur Metapher akademischer Abwegigkeit. Auf diesem Wege wird es auch zum hintergründigen Versuch des Autors, die empfundene Minderwertigkeit zu relativieren.

Am Ende liegt die schöne Studentin aus dem Universitätsgarten schlafend im Flur des vom Bürgerkrieg bedrohten Lehrgebäudes – der Engel des Todes, so als ob in diesem Kosmos nur das Nekrophile Ruhe finden könnte.

Ja, so empfand Zelter. Dennoch haben sich bei aller Tristesse einige aufhellende Leichtigkeiten behaupten können.

Nein, Zelter kann auch Sprachwitz. Und dennoch lesen sich die Briefe aus Amerika so als ob sie noch nicht versandfertig wären.

Note: 3   (ur) <<

>>Alexander Kluy hatte am 11. Dezember 2016 in der Wiener Zeitung „Standard“ versprochen, dass man beim Lesen der „Briefe aus Amerika“ vom Fauteuil falle und sich mehr als den Musikantenknochen schädigen könne.
Das machte ich mich neugierig und deswegen schlug ich das Buch vor. Ich setzte mich aufs Sofa und las und las und wurde sitzengelassen. Eine herbe Enttäuschung. Enttäuschte Erwartungen sind keine gute Basis für die angemessene Besprechung eines Buches. Deshalb möchte ich es heute damit bewenden lassen. Dabei schätze ich den Autor in seiner etwas spröden Art, in der ich ihn vor vielen Jahren in Brunos Keller erleben durfte.

P.S.: Die didaktisch ausgereifte Einweisung in die deutsche Mülltrennung, die der deutsche Lektor in Yale seinen Studenten/innen bietet, hätte einen Platz in einer der zahlreich erschienenen Integrationsbroschüren verdient.
Note: 3 (ax) >>