Stadt der Verlierer – Lilian Faschinger

Stadt der VerliererHanser 2007,  316 Seiten.

>> Lilian Faschinger zeichnet in „Stadt der Verlierer“ ein Panoptikum schräger Vögel, sie karikiert Menschen (Verlierer?) anstatt sie zu charakterisieren und mit Leben zu füllen.
Wenn der Plot nicht gar so bemüht und konstruiert daherkäme, könnte man den Roman zum Drehbuch drehen. So werden sich allenfalls die amüsieren, die schon tief im Sommerloch hängen.  Note : 3/4 (ax)<<

 >> Lilian Faschinger entwickelt im ersten Teil von „Stadt der Verlierer“  einen krimihaften Plot mit überschaubarem Personal, der neugierig macht. Die beabsichtigte Groteske, die sie um den scheinbaren Verlierer Matthias herum gestaltet, misslingt allerdings gründlich. Vielen Figuren fehlt die Kontur und die ewigen pseudotiefsinnigen Springsteen Texte nerven auf Dauer gewaltig.
Im zweiten Teil (Faschinger nimmt diese unerfindliche Unterteilung selbst vor) steigt zwar die Spannung, die Dialoge werden aber immer hölzerner und geraten schließlich dermaßen aus den Fugen, dass sie wohl nicht mal mehr für eine Vorabend Telenovela ausreichen würden. Schade! Note: 4 (ün) <<

>>Im Gewand eines literarischen Kriminalromans zeichnet Faschinger das Psychogramm des jungen Mannes Matthias Karner, dessen umfassend entwertende Grundhaltung nur den Konsum weiblicher Charaktere kennt. Mit einer unverstandenen Anziehung sammelt er Frauen, die sich ihm hinwerfen, auch wenn oder vielleicht gerade weil sie letztlich verbraucht werden. „Town full of losers“ (Bruce Springsteen): Frauen, denen eine ehrwürdige Selbstbestimmung abhanden gekommen ist und ein Mann, der partnerschafts- und ich-entleert durch das Leben mäandert. Zu diesem geradezu nihilistischen Grundzug gesellt sich im Laufe des Romans das krimi -treibende Motiv in Form der Ehrverletzung und des daraus erwachsenen verselbstständigten Racheantriebs. Doch bis dahin sind es noch 200 Seiten.

 Die Anziehungskraft von Matthias K. scheint auch für (fast) Tote zu gelten. Die versuchte Selbstmörderin Vera Suttner, von Matthias K. halbtot gefunden und gerettet, gerät ebenso in seinen Bann. Wieder zum Leben auferstanden, gebraucht sie ihn jedoch gleichermaßen und bezahlt dies am Ende des Romans, wenn auch aus einem anderen Grund, mit dem Leben. Der Mörder ist ihr Retter Matthias K.

Die für den Romanverlauf zentrale Parallelfigur, die Täter und Opfer schicksalhaft zusammenführt, ist die autodidaktische Privatdetektivin Emma Novak. Sie schreibt ihre eigene Geschichte in der Geschichte, ohne dass die Autorin dafür dramaturgische Kreuzungspunkte mit Matthias K. bemüht. Im formalen Sinne ist auch sie eine Verliererin, die ihre Universitätsanstellung als Historikerin mit Frauen-emanzipatorischer Interpretation des Altertums verlor. Im Gegensatz zu vielen anderen weiblichen Nebendarstellerinnen etwa aus der Kunstszene, dem wohlhabenden Mittelstand oder der esoterischen Nachhut, bleibt sie jedoch eine unbefleckte, unaufdringlich klar denkende Frauengestalt, die auf dem Sympathiekonto eher schwarze Zahlen schreibt. Wie an so vielen Stellen in dem Roman kann sich L. Faschinger auch an dieser Stelle erzählerische Schnörkel nicht verkneifen. So lässt sie Emma mit ihrer verhaltenden Emotionalität im Fahrstuhl den erotischen Anflutungen einer Gerichtsmedizinerin erliegen, nachdem die Medizinerin mit einem ermüdenden, aber mit Landwein flüssig gehaltenen Monolog über italienische Gourmetrezepturen und chirurgische Leichenanleitungen ihre Interessenverflechtungen ausbreitete. Natürlich hat Emma noch mehr Unruhe in ihrem Leben, wozu auch ihr halberwachsener Sohn gehört, der zur resoluten Oma zieht, um sich einer Reinkarnationstherapie auszusetzen. Durch Entschlüsselung vergangener Leben glaubt die alte Dame eine (nicht erkennbare) Aquaphobie des Jungen heilen zu müssen.

Der kriminalistische Faden des Romans entspringt dem Verlangen der Greta Mautner nach 28 Jahren ihren Sohn wieder sehen zu wollen. Auf Druck ihrer Eltern musste sie als 16-jährige Mutter ihren Sohn zur Adoption freigeben. Emma wird mit der Suche beauftragt und kann über eine schier endlose Abfolge unglücklicher Liebschaften tatsächlich Matthias K. ausfindig machen, so dass es zur Mutter-Sohn Begegnung kommt. Der Faden wird an dieser Stelle neu eingefärbt, als Matthias K. erfährt, dass er einen Zwillingsbruder hat und seine Mutter diesen behalten durfte. Schockiert empfindet er sich als Verlierer, dessen Verstoßenensein umso schwerer wiegt, da sein Bruder bevorzugt wurde. Die dramaturgischen Fäden werden an dieser Stelle zu einem Geflecht mit überraschenden (und nicht immer überzeugenden) Muster. Bei seinen Nachforschungen stößt Matthias K. nicht nur auf einen ungemein erfolgreichen Bruder als Stararchitekten, sondern auch auf den Umstand, dass Vera Suttner, die Matthias K. rettete und mit der er inzwischen genitale Gemeinsamkeiten genießt, die Frau seines Bruders ist. Je tiefer Matthias K. in die Erfolgsgeschichte seines Bruders eindringt, desto größer wird seine Ablehnung, die sich schleichend zu einer Form von Rache am Schicksal verdichtet. So zerstört er bei einem Einbruch in die Villa seines Bruders dessen Cello oder liquidiert seine geliebte Katze. Als Vera hartnäckig jede Verbindung mit seinem Bruder leugnet, wird sie in zunehmenden Maße zum Ersatzobjekt und – opfer, in dem Matthias K.s Destruktion letztlich kumuliert. Natürlich vergewaltigt Matthias am Ende Vera Suttner, ersticht sie dabei natürlich und schläft natürlich auf der blutüberströmten Leiche ein. Wenn das Blut von diesem faden Romangewebe abgetropft ist, entdeckt der Leser eine interessante Knotenführung des Kriminalromans. Da Matthias K. und sein Bruder eineiige Zwillinge sind, ist ihr genetisches Material völlig identisch. Da niemand von der Existenz eines Zwillingsbruders weiß, können die reichhaltigen Blut- und Samenspuren den Verdacht nur auf den Architektenbruder lenken. Die doppelte Rache an Bruder und Ehefrau scheint genial inszeniert. Auffällig bleibt, dass es überhaupt keine Fingerabdrücke gibt. Wohl wissend, dass diese auch zwischen eineiigen Zwillingen stets verschieden sind, hatte Matthias K. sie peinlich genau verwischt. Doch sowohl Emma wie auch seine Mutter ahnen den Zusammenhang, so dass Matthias K. schließlich festgesetzt wird.

Ein leicht lesbarer Roman mit leicht ansteigender Spannung, angereichert mit humorvoll-originellen Schleifen und ebenso befremdlichen Skurrilitäten, die auch mal literarische Fettnäpfen aufspritzen lassen. Anekdoten besetztes Panoptikum, aber sicher keine Gesellschaftskritik der Kleinstadt Wien, wie der Titel „Stadt der Verlierer“ suggerieren mag. Note: 2– (ur) <<

>> Dass wir  eine lebensmüde Beinaheleiche namens Vera Suttner im Lainzer Tiergarten und ihren zufälligen 30 jährigen Wiener Lebensretter Matthias Karner zum Romanbeginn  am Romanende als echte Leiche und  Mörder in einer Wiener Nobelvilla wiederfinden,  dafür ist eigentlich Greta Mautner verantwortlich, die als frühgebärende 16-Jährige einen ihrer Zwillingssöhne, nämlich Matthias zur Adoption freigegeben hat. Ihre späte Suche nach dem verlorenen Sohn mit Hilfe des Detektivbüros Hammerl&Novak fällt mit dem Zeitpunkt zusammen, zu dem sich zwischen dem vorwiegend von Frauen ausgehaltenen aber beziehungsgestörten Adoptivsohn Matthias und der wiedergenesenen Beihnahe-leiche Vera eine Beziehung entwickelt, die sein Leben und auch sein alle Frauen sind Hurenbild verändert. Die Suche nach Veras wahrer Identität wird in dem Augenblick zur Suche nach der eigenen Identität, als der wiedergefundene Sohn aus dem Munde seiner Mutter von der Existenz eines Zwillingsbruders erfährt. Nicht dass dieser als Stararchitekt und Winnertyp den gesellschaftlichen Gegenpol zum vagabundierenden Loser und Bruce Springsteen Verschnitt Matthias Karrer bildet, leitet das abschließende Eifersuchtsdrama ein, nein,  Faschinger muss uns den Klon erst noch als Veras Ehemann präsentieren, um die Katastrophe zu komplettieren. Das ruft nach Rache, zumal dann, wenn der Rächer glaubt dem Zwillingsbruder sein Sperma in die Schuhe schieben zu können und so wird Vera, die sich von Matthias zurückzieht ohne die Zwillingsgeschichte zu kennen, in einem wahren Blutbad zum Ersatzopfer. Als kriminaltechnisch entscheidend erweist sich zum Schluss dann aber doch die Erkenntnis, dass Zwillingsbrüder zwar dieselbe DNS, nicht aber dieselben Fingerabdrücke haben. Dieser Teil einer spannenden, wenn auch reichlich konstruierten Geschichte wird uns sowohl aus der Ich-Perspektive des Protagonisten wie aus der Perspektive eines neutralen Erzählers vermittelt, dessen zusätzliche Aufgabe darin besteht uns die reichlich mit karikaturesken Elementen versehene Geschichte des  Detektivbüros Dr. Novak & Hammerl zu erzählen. Vor allem das familiäre Umfeld der an einer akademischen Karriere gescheiterten Emma Novak (Eine Promotion über Seherinnen im alten Byzanz hat auch in Wien geringen Gebrauchswert) erweist sich in Sachen Groteske als ergiebig und unterhaltsam. Was mit der Figur der Mutter als Reinkarnationstherapeutin, die den Karmaknoten des Enkels aufzulösen sucht, beginnt, mit dem reichlich senilen Vater, der als ewig Gestriger mit  einem selbstgebastelten U-Boot Modell auf der Donau sein Nazitrauma verarbeitet , seine familiäre Fortsetzung findet, erfährt mit der Figur von Dr. Sissi Fux, einer Freundin Emma Novak ihren schrägen Höhepunkt. Hier tischt Faschinger im doppelten Sinne auf: Die Gerichtsmedizinerin Fux erweist sich nicht nur am Seziertisch, sondern auch am Küchentisch als wahre Könnerin. Dass Emma Novak das Raffinement der italienischen Küche mehr zu schätzen vermag als die lesbischen Verführungsrituale ihrer Gastgeberin mildert nicht deren Kochkünste.

Mit Emmas Detektivpartner Micke und seinem Umfeld gerät die Abteilung Groteske in Faschiners Roman fast ausschließlich zum Klamauk, der seinen Höhepunkt in dem skurrilen Happy-End des Romans, der Heirat Mickes mit seiner türkischen Freundin Asli, findet. In dieser Geschichte ist Platz für alles: Allergien, Diät, Qigong, Islam, Hinduatmung, Aktionsanalyse von Wilhelm Reich, Türkenklischee bis hin zu Otto Mühls utopischem Soziallabor – und gerade deshalb ist dieser Teil der Geschichte der schlechteste.

Was die Auseinandersetzung der beiden Erzähler  mit der Stadt Wien als gesellschaftlicher Hintergrundsfolie des Geschehens angeht (Für Matthias Karner ist „die Stadt ein Fall für die Neutronenbombe“!!), ist der Roman wenig ergiebig. Die wahren Verlierer der Stadt jedenfalls bleiben namenlos. Note: 3 (ai) <<