Terrorist – John Updike

Rowohlt 2006 |  397 Seiten.

>>Vermutlich unter dem zutiefst bedrohlichen Eindruck anhaltender Terroranschläge als Ausdruck eines religiös motivierten culture clash veröffentlicht Updike 2006 diesen Roman, der versucht die Terrorist-Werdung eines jungen US-Amerikaners muslimischen Glaubens zu thematisieren. In London waren ein Jahr zuvor bei vier gleichzeitigen, islamistischen Bombenanschlägen 50 Menschen getötet und 700 verletzt worden. 2004 verübten islamistische Terroristen zehn abgestimmte Bombenexplosionen mit 193 Toten im Madrider Bahnverkehr. Und auch die koordinierten Anschläge auf das Pentagon und WorldTrade Center mit fast 3000 Opfern lagen erst fünf Jahre zurück. Updike verzichtet in seinem Werk weitgehend auf eine wertende Gegenüberstellung von Glaubensrichtungen. Stattdessen hebt er die politkriminelle Problematik auf eine individuell-soziologische. Sein unbescholtener Hauptprotagonist Ahmed gerät unter den Einfluss eines demagogischen Eiferers. Im letzten Moment vor einem geplanten Terrorakt, bahnen sich Zweifel in dem jungen Mann ihren Weg und verhindern die Katastrophe. Kann der Autor überzeugen? Kaum.

Der Inhalt. Ahmeds Geschichte bewegt sich zwischen „Diese Teufel wollen mir meinen Gott nehmen“ (S.7) und „Diese Teufel haben mir meinen Gott genommen“ (S. 397). Ahmed ist tiefgläubiger Muslim, einsam aber gefestigt inmitten seiner High School Kommilitonen, deren Oberflächlichkeit, Moralarmut und Konsumabhängigkeit ihn zunehmend abstoßen. Seine biedere Frömmigkeit, sein Anstand und sein zurückgezogenes Wesen provozieren Hohn und tätliche Angriffe durch die Klassenkameraden. Nur die gleichaltrige Joryleen fühlt sich mit ihm verbunden, ohne dass sich zwischen ihnen eine tiefergehende Freundschaft entwickelt. Obwohl Ahmed ihre anzüglichen Annäherungen nicht schätzt, bedeutet sie ihm so viel, dass er ihr in die Kirche, dem Ort des falschen Glaubens, folgt, um sie im Kirchenchor zu erleben. Auch die freundliche Aufnahme in der Gemeinde – symbolhaft dargestellt durch ein kleines Mädchen, das an ihn gelehnt einschläft – kann seine abgrundtiefe Ablehnung des teuflischen Irrglaubens nicht beeinflussen.

Früh vom Vater verlassen, wächst Ahmed mit seiner Mutter allein auf. Als Schwesternhelferin verdient sie den mageren Unterhalt. Als expressive Malerin erntet sie keine Anerkennung. Als Verlassene verfängt sie sich immer wieder in den Armen fremder Männer. Ihr Sohn verachtet sie dafür. Dennoch verbietet sein Respekt vor der Mutter, sie offen zu kritisieren. Halt findet Ahmed stattdessen bei Scheich Rashid, dessen einziger Schüler er über viele Jahre ist. In fast täglichen Sitzungen prägt der Imam den suchenden Geist mit Koransuren und inbrünstigen Interpretationen. Die Absicht, das historische Weltbild in die Gegenwart zu zwingen.

Literarischer Gegenspieler von Ahmed ist der Beratungslehrer Jack Levy, der es nicht hinnehmen will, dass Ahmeds intellektuelle Fähigkeiten der Glaubensdoktrin zum Opfer fallen sollen. Der Imam hatte weiterführende Ausbildungsstätten als Hort des Unglaubens verdammt. Levy selbst ist ein dem Menschen zugewandter Charakter. Väterlich, weise, aber bestimmt. Andererseits haben Jahrzehnte vergeblicher Bildungsarbeit seine Kräfte aufgezehrt: Jugendliche, die desinteressiert durch das Leben driften; ein Bildungssystem, das keine Orientierung bietet; eine Ehefrau, die aus falsch verstandener Verantwortung für seine beruflichen Enttäuschungen zu grenzenloser Fettleibigkeit neigt. Ein fehlender Glaube an sich oder eine übergeordnete Fügung geben Levy das Gefühl, ein zu dünnes Leben zu führen. Symbolhaft schwankt seine kastrierte Katze durch das Bild. Wohlbehütet, Gefangene eines geschlossenen Systems. Nachts von Ängsten ums Mobiliar gehetzt. Von nichts gefährdet, außer einer inneren Leere.

Ahmed schließt die Schule ab, macht nach Plan des Imam den LKW-Führerschein und wird an ein Gebrauchtmöbelgeschäft arabischer Auswanderer vermittelt. Langatmig wird der Leser durch die unspektakulären Kleinstädte New Jerseys geführt. Man beobachtet die wiederholte Auslieferung angeschlagener Möbel. Wenig überzeugend beschreibt der Autor die von Ahmed wahrgenommene inhaltsarme, wert-lose US-amerikanische Lebensart. Ohne nachvollziehbare Begründungen entpuppen sich später die kleinbürgerlichen Möbelhändler als Terrorsympathisanten, die Geld, Sprengstoffchemikalien und einen präparierten LKW besorgen. Ahmed wird reibungslos als Selbstmordattentäter rekrutiert. Er soll im Hudson River Tunnel zwischen Staten Island und Manhattan während des Berufsverkehrs das Inferno auslösen.

Ein kleiner kriminaltechnischer Spannungsbogen ohne Überzeugungskraft folgt am Schluss. Der Firmenmitarbeiter Charly war CIA-Provokateur und hatte den geplanten Anschlag zum Jahrestag des Angriffs auf das World Trade Center vorangetrieben. Er wurde jedoch von Islamisten zu früh enttarnt und geköpft. Entsprechend verlieren sich die Spuren für das CIA beim Möbelhaus, so dass Ahmed nicht dingfest gemacht werden kann. Bei der Terrorfahrt steht überraschend Levy gestikulierend am Wegesrand. Ahmed nimmt ihn prompt auf. Der erste Schritt zurück. Besänftigend wirken auch winkende Kinder im PKW vor Ahmeds LKW. Er zündet den riesigen Sprengsatz nicht. Die Vernunft siegt im literarischen Alltag. Ende.

Bis zu diesem Ende rutscht der Leser auf allzu plakativ-kitschigem Matsch dahin. Dieser beinhaltet willkürlich zusammengeschaufelte Komponenten. Beispiele: Levy, der vermeintlich Integere teilt mit Ahmeds Mutter ein reges Geschlechtsleben, das in keinem Bezug zu Ahmeds Entwicklung steht. Joryleen wird vor Ahmeds geplanter Todesfahrt von Charly als Prostituierte gebucht, um Ahmed schon auf Erden auf die Begegnung mit dem Heer himmlischer Jungfrauen einzustimmen. Levy steht zufällig genau an der vielspurigen Ausfallstraße vor dem Tunnel, als Ahmed einfahren will. Ahmed lässt ihn prompt einsteigen und sich kurzerhand überzeugen, direkt zur Polizei zu fahren, um sich selbst anzuzeigen. Das wirkt fast albern. Insgesamt ein äußerst bemühter Plot, ermüdende Textpassagen, die das magere Geschehen nicht voranbringen. Dazwischen Plattitüden und Frivolitäten („ich habe deine Mutter gebumst“). Erstaunlich auch, dass trotz der breiten Darstellung von Ahmed, der Typus blass und statisch bleibt. Die Entwicklung zum Selbstmordattentäter ist kaum nachvollziehbar. Einzig überzeugend und literarisch getroffen erscheint die Gestalt Levy. Ansatzweise auch erkennbar ist die Gesellschaftskritik, die ausnahmslos alle Gestalten dieser Episode als Versager, Verlierer, Entrückte, Gesichtslose oder Täter zeigt. Teils werden die Charakterzüge in einer direkten oder indirekten Kausalität zur Gesellschaft gruppiert. Doch selbst bei den beiden Antipoden wird kein überzeugender Kontrast aufgebaut: auf der einen Seite der atheistische Jude Levy mit einem Glauben an das Menschliche nicht aber an Gott. Auf der anderen Seiter der Muslim Ahmed mit fanatischem Gottesglaube aber ohne Empfinden für das Menschliche.

Fazit: Ein eindrucksloser Roman mit zu wenigen sprachlichen Höhepunkten.

Note: 3/4 (ur)  <<