Gefährliche Geliebte – Haruki Murakami

Dumont-Buchverlag, 1992/2000 – 230 Seiten

ISBN 3 7701 4781 2

>>Wie in zahlreichen seiner Werke, webt der Autor auch in diesen Roman autobiographische Fasern ein. Das selbstgerechte Einzelkind, Entwicklungsphasen der Lustlosigkeit, sexuelle Fantasien und Obsessionen, westliche Popmusikideale als lebenslanger Versatz in wiederkehrenden Lebenssituationen, der Mann als Jazzbar-Besitzer und die klassische Musik als Passion. Murakamis Protagonist bewegt sich wie in einem sinnsuchenden Entwicklungsroman, in dem die treibende Kraft die Anziehung von Frauen ist. Sie verursachen Strömungen in die Zukunft, drohen in die Tiefe zu ziehen, tragen die schwersten Lasten wie Ozeane Schiffsriesen. Wiederkehrendes Moment ist die finale Bedrohung, der finale Entschluss, der Suizid, der wiederholt in seinem Bekanntenkreis zu beklagen ist. Dazwischen zieht die männliche Hauptfigur eine versteppte Spur durch sein und das Leben anderer. Mystisches Funkeln am literarischen Lagerfeuer, schwertragende Leerstellen in den skizzierten Lebensläufen, Sinnsuche und der Versuch die Rein- und Absolutheit einer Kinderliebe zu verewigen, indem die Zeit angehalten wird. Doch genau das ist nicht möglich. Am Ende bleibt offen, ob Hoffnung und Scheitern die Balance halten werden. Ein durchaus spannender Plot. Sprachlich weitgehend schlicht, wenn auch mit nachdenklichen Metaphern und überraschenden Sentenzen.

            Hajume wächst als isoliertes Einzelkind in einer spießbürgerlichen Vorortsiedlung Japans auf. Ähnlich wie seine schöne, durch Kinderlähmung gehbehinderte Schulkameradin Shimamoto. Die stigmatisierten Kinder verbindet eine stille, fast platonische Verbundenheit, die sich erst Jahrzehnte später zu einer dramatischen Besessenheit verdichten wird. Der Schüchternheit des Jungen folgt die umso selbstbewusstere Präsenz des Jugendlichen. Nachdem er mit seiner neuen Freundin keinen Sex haben kann, gerät er in Abhängigkeit zu deren Cousine, mit der er hemmungslose Orgien zelebriert. Beide Frauen stürzen ins Bodenlose. Die eine verwahrlost – aufgerieben von Eifersucht und Schmerz, die andere begeht Selbstmord. H. treibt richtungslos durch die Studienzeit, wird schließlich Schulbuchlektor. Er ist angeödet vom Dasein und zerfressen von Selbstvorwürfen über seine latenten Gewaltphantasien, die seiner Unzufriedenheit entspringen. Schließlich lernt er seine zukünftige Frau kennen, der er seine aufrichtige Liebe schenken wird. Eine Familie wird gegründet, der wohlhabende Schwiegervater ermöglicht die Finanzierung zweier renommierter Jazzlokale. H. kommt zu Erfolg, findet seinen Lebensmittelpunkt.

            Als seine frühe Liebe Shimamoto in seinem Lokal Platz nimmt, wird das alte Feuer augenblicklich neu entzündet. Eine geheimnisvolle dunkle Aura umgibt sie. Nie hat sie gearbeitet, lebt dennoch in luxuriösen Verhältnissen – offensichtlich aber in terrorisierter Isolierung. Vielleicht die streng sanktionierte Mätresse eines einflussreichen Politikers oder Großkriminellen. Bei einem gemeinsamen Tagesausflug, bei dem die Asche ihrer verstorbenen Tochter ausgestreut werden soll, entgeht sie nur knapp dem Exitus, weil sie lebensnotwenige Medikamente nicht genommen hatte. Ein Zufall?

  1. verfällt in eine bedingungslose Ergebenheit. Ein geheimes Wochenende mit ihr lässt das Ende seiner Familie erahnen. Die Autofahrt in die Abgeschiedenheit wird fast zum tödlichen Ausflug, als sie ins Lenkrad greifen will. Erstmals begegnen sich beide auch erotisch. Shimamotos sexuelle Ekstase nimmt dabei paranoide Züge an. Sie lässt ihn absolute Hörigkeit schwören. Er folgt. Überraschend verschwindet sie jedoch in derselben Nacht ohne je wiederzukehren. H. wird später klar, dass ihre Absicht der gemeinsame Tod war. Denn nur so hätte sie frei von den Zwängen ihres gegenwärtigen Lebens die Liebe zwischen ihnen unverfälscht verewigen können. Für sie war nur die völlige Verschmelzung denkbar. Eine Selbstaufgabe wie sie im realen Dasein nicht lebensfähig ist. Zurückblickend umgab sie stets ein Hauch von Todesengel.

Das magere Ende des Plots zeichnet H. zerrissen. Er offenbart sich seiner suizidgefährdeten Frau. Vermutlich werden sie standhalten. Vielleicht auch nicht.
Note: 2– (ur) <<