Der Campus – Dietrich Schwanitz

Eichborn Verlag 1995 | 382 Seiten.

>>Dynamisch erfolgreicher Hamburger Universitätsprofessor (Hanno Hartmann, Kultursoziologe), von Kollegen geachtet und beneidet, gerät in sexuelle Abhängigkeit zu einer extrovertierten Studentin, von der er sich zu befreien sucht. Sein Verhältnis wird ansatzweise publik, worauf sich eine Vielzahl von Individuen, Organen und Institutionen auf den Fall stürzen und diesen im jeweiligen Eigeninteresse zelebrieren, gilt es doch Karrieren zu festigen, Machtgelüste und erotische Anliegen auszuleben, Eifersucht zu verrechnen oder Gelder zu akquirieren.

Ein komplexes Geflecht von Abhängigkeiten und ungeahnten Einflussmöglichkeiten im Universitäts- und im Politikbereich offenbart sich. Der Universitätspräsident will wiedergewählt werden und braucht die Frauenbeauftragte, die sich mit einem ganz großen Coup ein Denkmal setzen will, wobei ein Gremienkrieg geführt werden muss, der überlagert wird von den Animositäten der unteren akademischen Mittelschicht, die bisher weder durch Fleiß noch durch Wissenschaft überzeugen konnte. Als ein übermotivierter Nachwuchsjournalist seine Profilierungschance wittert, nimmt das Intrigengebräu richtig Würze auf, so dass schließlich sogar der Hamburger Senat eine willkommene Plattform wittert, auf der die postmoderne Sexismusdebatte mit Blick auf wiederkehrende Wahlen gewinnbringend geführt werden kann. Dass schon früh die Studentin widerruft, macht keinen Unterschied. Durch ihre Einweisung in die Psychiatrie kann der Widerruf vertuscht werden, so dass alle Teilnehmer zuverlässig auf ihre Kosten kommen.

H.Hs Gattin: vom Typus exaltierter Landadel und HHs familieninternes Minenfeld. Seine Tochter ist die Einzige, die etwas Integeres vermuten lässt. Sie bleibt HHs Stütze. H.H. dagegen mit erkennbaren Eitelkeiten, aber eben auch virtuoser Kompetenz. Doch das verhindert nicht, dass H.H. im Wissenschaftsapparat über 380 Seiten spannend seiner Opferung entgegengeführt und mit dem Vorwurf der Vergewaltigung unberechtigt suspendiert wird. Nach dem Publikwerden seiner Unschuld verzichtet er jedoch auf eine Rehabilitation, weil er von der systeminhärenten Schuld der Protagonisten überzeugt bleibt und selbst nicht erneut Teil der Niederträchtigkeit werden will.

Geschrieben ist der Roman in hochamüsanten Einzelanekdoten, die von fulminanter Sprachakrobatik und bissigem Witz geprägt sind. An manchen Stellen jedoch rutscht das Slapstickhafte in die Plattheit von HB-Werbespots ab.

Lesenswert für Akademiker Insider.  Note: 2  (ur) <<