Ellenbogenspiele – Draginja Dorpat

K640_ellenbogenspieleFischer Bücherei 1970, 138 Seiten.
Merlin 1968,  218 Seiten.

>>  Mit den 4 Kapitelüberschriften Knut, Thea, Tina, Karol sind die 4 zentralen Protagonisten vorgestellt, aus deren Perspektive im Wesentlichen die Geschichte erzählt wird und die allesamt untereinander und noch mit drei weiteren Figuren schicksalhaft verbunden sind. Wäre ein interessanter Ansatz, wenn er konsequent durchgehalten würde.  Doch zu viele stilistische und auch inhaltliche Brüche, Sprünge, Wechsel trüben das Bild. Dorpat entwickelt ansatzweise durchaus sprachschöpferische Wucht, die aber dann aber doch zu häufig an der teilweise kruden Handlung zerschellt. „Studenten in Tübingen“- das weckt Erwartungen, die nicht erfüllt werden. Der Roman könnte überall spielen und das studentische Milieu der 60er Jahre ist, bis vielleicht auf die spießigen Zimmerwirtinnen, nicht getroffen. Es ist ein desillusionierender Roman über unerfüllte Liebe und die daraus resultierenden Psychospielchen, über das was im Alter von der Liebe übrig bleibt, über Demütigungen aller Art, über große Altersunterschiede in Beziehungen, man könnte auch noch den „Warencharakter“ der Liebe anführen. Allerdings wird das doch allzu bemüht in verschiedenen Handlungssträngen wiederholt und mit bildungsbürgerlichem Quatsch angereichert.
Dass dieser Roman in den 60er Jahren einem der vielen niveaulosen „Nackedei“-Filme dieser Zeit als Vorlage diente, mag auf den ersten Blick  verwundern.  Versucht man den ganzen Roman als groteske Komödie zu lesen, wird es wieder plausibel. Note: 3+ (ün)<<

 >> „Warten. Warten. Warten.“ Auch so kann ein Buch beginnen. Ich hatte mich auf Lektüre gefreut. Wegen gewisser Freizügigkeiten war der Roman zu seiner Zeit  (1966) zum Skandalon geworden und auf die Liste jugendgefährdender Schriften gesetzt worden. Das macht neugierig. Dazu noch Tübingen-Bezüge. Was will man mehr. Dann aber werden ausschließlich unerfüllte, gescheiterte Beziehungen geschildert. Die Ellenbogenspieler/innen, einige davon Getriebene, scheitern sämtlich, teilweise bei höchster Bildung. Oft habe ich mich gefragt, ob Belesenheit demonstriert werden soll (Aufzählung wichtiger Personennamen zum Beispiel) oder ob die Autorin an eine Parodie gedacht hat? Viele der Dialoge wirken auf mich bemüht, konstruiert, artifiziell. Ein pessimistisches Buch. Früher war halt auch nicht alles besser. Befriedigt ist am Ende nur ein Hund: “Queen sah zufrieden aus“ liest man auf der vorletzten Seite. Immerhin. Mir tut der Hund eher leid. Warten. Warten. Warten. Ich habe bis Seite 218 gewartet. Vergebens. Note: 3– (ax)<<

 >> Nein, dieser Roman ist in weiten Teilen missglückt. Figuren ohne jede Empathie, flüchtige Beziehungen – vor allem horizontal. Ein Mix aus Parodie, Groteske und Zynismus, der dem studentischen  „Treiben“ der ausgehenden 60er an keiner Stelle gerecht wird. Zwischen (unveröffentlichtem) lyrischem Elaborat und vielfach vergossenem Ejakulat zu viel Bildungsgeschwafel.  Siebenrogg, Rudi Phallus Ellenbogen, Christina Edle von Carolsfeld, das Beffchen und als Sodomkrönung noch Queen – das müsste  selbst für „Für Sie“ zu viel sein. Einzig die  Juristische Fakultät der Universität Tübingen dürfte sich freuen:  Theas Liebesenttäuschung heilt die Promotion. Eine vorbildhafte Botschaft: Seminar statt Bettchen. Note: 4/5 (ai) <<

>>Thea hatte eine frühe Liason mit dem gescheiterten Pfarrer, wohingegen sie später vor allem die unbekleidete Begegnung mit Knut gerne vertieft hätte, wenn dieser sich nicht bei seiner Brötchengeberin Jertrude hätte verausgaben müssen, worauf Thea sich am hörigen Gilman respektlos auslebte, gleichzeitig Herrn Ellenbogen nicht sofort zurückwies und schließlich dann doch von Karol entjungfert wurde. Der erniedrigte Gilman widmete sich darauf Tina, die ansonsten von Herrn Ellenbogen in die Rückenlage gebracht wurde, sofern er sich nicht der Blondine mit der Bulldogge hingab, während deren Hund von Theas Pfarrer sodomistisch befriedigt wurde. Ungute, erotische Ellenbogenspiel, die in der moralisch verengten Epoche der 60er Jahre noch als befremdliches Sittengemälde aufgefasst und offiziell als jugendgefährdend eingestuft wurden. Ein halbes Jahrhundert später wirken die literarischen Tabubrüche von damals wie ein unaufgeregtes Unglück, das es unter Umständen lohnt aus ganz anderer Sicht zu durchleuchten.
Alle wollen, alle können nicht oder nur das eine und keine(r) kann es richtig. Alle suchen ohne zu wissen, was fehlt. Und weil das so ist, tun sie das Falsche. Sie enttäuschen, sie verletzen, sie stürzen und verteilen den Schmerz um. Sex steht vorne, hinten fehlt der Respekt, die Leichtigkeit, die Liebe. Das akademische Rudel und seine Rituale kreisen in einem traurigen Perpetuum mobile, das sich selbst in Bewegung hält.
Im Milieu der Tübinger Universitätsstadt schreibt Draginja Dorpat den Herum-vagabundierenden einen intellektuellen Scharfsinn zu, den sie vor allem dazu benutzen, ihre Gesprächspartner zu filetieren noch bevor jede Annäherung garen kann. Auch wenn den Roman die Suche nach Bindung und Ansprache als hartnäckiges Merkmal aller Protagonisten durchzieht, zeichnet Dorpat die Akteure als zuverlässig unbeholfene Beziehungsversager, die mit vernichtendem Ungeschick zu Werke gehen. Stimmig zu den fragmentierten Begegnungen, zerfasert die Autorin bewusst die Gedankengänge. Stimmig dazu inszeniert sie den Duktus und Szenen als ein Stakkato von bizarren Assoziationskaskaden. So zerfranst wie die Gedanken und Gestalten, so stimmig zerfranst sind mitunter ihre Darstellungen.
Knut ist nicht nur Adonis und begabter Psychologiestudent, sondern auch angewiderter Liebesdiener, der für seinen Ausbildungserfolg sexuelle Frondienste leistet. Auch die Jurastudentin Thea Siebenrogg wird ähnlich wie Knut von der Vision eines beruflichen Erfolgs getrieben, dessen Vorbereitung von sexuellen Unwettern durchnässt wird. Anders dagegen die Damen Jertrude und Tina Christina Edle von Carlsfeld, deren berufliche Werdegänge schon in der Lebensmitte ihr Ende erreichten. Die eine ist verwitwete Unternehmerin und die andere vergraute Redakteurin einer Hausfrauen-Zeitschrift. Gemeinsam ist beiden die Bitterkeit des Verfalls und die Verzweiflung im Angesicht ewig attraktiver Heerscharen knack-erotischer Studentenkonkurrentinnen. Dorpats übrige Mannsgestalten umfassen eine bunte Charakterpalette: der Redaktionschef Rudolf Ellenbogen als Machtmacho mit monumentaler Libido, der feinsinnige Musenverlierer Lambert Gilman, der hormonbewusste Redakteur Karol mit einem Restbestand an Anteilnahme und natürlich der vom evangelischen Pfarrdienst zur Sodomie konvertierte Kriegsveteran. Allen gemeinsam ist die Beziehungs-Hilflosigkeit.
Auch wenn der Roman trotz brillanter Sprachpassagen letztlich überladen und reifebedürftig wirkt, so kann die Plot-Monotonie auch im Sinne der Beziehungsmonotonie des auftretenden Personals gedeutet werden. So verstanden harmonieren Inhalt und Form. Dennoch hätten Gegenbilder das Werk lesefreundlicher gemacht. Schon ab der Mitte und erst recht am Ende des Werkes wird man in den Strudel des ewig Gleichen gezogen und sehnt sich im Mief der sexuellen Gemengelage nach frischer Luft.
Note: 3 (ur) >>