Schrecklich amüsant,aber in Zukunft ohne mich – David Foster Wallace

Schrecklich amüsant-aber in Zukunft ohne michGoldmann 2006, 183 Seiten.      

 

>> Wenn schon eine Seefahrt lustig ist, wie lustig wird dann erst eine Kreuzfahrt? Zu lustig, meint David Foster Wallace, der von sich sagt, er leide unter Agoraphobie, vulgo Platzangst, also keine ideale Voraussetzung fürs Kreuzfahrten.
Sieben Tage verbringt der Autor auf dem Schiff Nadir und beschreibt akribisch und meist ironisch eine Fülle oftmals skurriler Details. Die Ko-Kreuzfahrer, die Mannschaft, das Programm, die technischen Details (Schwerpunkt Unterdruck-WC). Nichts, was seinem wachen Auge entgehen würde. Gelungen seine Gedanken zum  „professional smile“ des Personals, wobei er immer wieder  auf die miserablen Arbeitsbedingungen der unteren Chargen hinweist, gelegentlich schimmert etwas amerikanischer Selbsthass durch. Könnte die Charakterisierung der amerikanischen Touristen als „bovines Herdentier und Fleischfresser“ (Seite 110) nicht auch auf andere Nationalitäten zutreffen? Nachvollziehbar beschreibt er,  wie schnell man sich an Verwöhnung gewöhnt, wie schnell die Ansprüche steigen und dann solange gesucht wird, bis man doch etwas zum Kritisieren findet.
Die Fußnoten (Parodie auf wissenschaftliche Schreibe?) erleichtern die Lektüre nicht, ebenso manche Wiederholungen.
Insgesamt eine amüsante, anschaulich und originell geschriebene Lektüre, die sich aber jemand, der eine Kreuzfahrt für sich selbst immer schon ausgeschlossen hat, vielleicht auch sparen kann. Note: 2– (ax)<<

>>10 Jahre nach Neil Postmans berühmter Rede auf der Frankfurter Buchmesse „Wir amüsieren uns zu Tode“ entführt uns David Foster Wallace literarische Reportage in die Abgründe eines 7-tägigen Karibik-Kreuzfahrt. Was die Auftragsarbeit für „Harpers Magazine“ auf und unter Deck aufdeckt, ist weniger das Produkt eines investigativen Recherche (sie wird, wenn sie denn überhaupt intendiert war, durch das Schiffsmanagement gründlich behindert) sondern das Resultat eines glaubhaften Leidensberichts des 35-jährigen Autors, der schon im Einleitungskapitel („Ententanz von 500 amerikanischen Leistungsträgern“, „Skeetschießen“ „Pelikan auf Fenchel“, „Bierbäuche“, „Sakkos von menstrualem Rosa“, „Krampfadern und Besenreiser“, „Petra mit den Grübchen“ etc.)  viel von dem andeutet, wohin die Reise ging. Was sich von der „Verladeprozedur“ (die Schindlers-Liste Assoziation erschient mir als Fehlgriff), der Einschiffung in „Stückmengen“ bis zum skurril-hypnotischen Abgesang in diesen 7 Tagen auf den verschiedenen Decks, an Tisch 64, in Kabine 1009, in den Daueramüsement- und Rundumversorgung Etablissments abspielt, ist der Mikrokosmos einer Spezies namens „Nadiriten“, dem der Autor und Mit-Nadirite erst wieder mit seinem „Wiedereintritt in das normale, selbstverantwortliche Landratten entkommt“. Was aber offenbart uns als Leser dieser Mikrokosmos: Dass das teuer bezahlte Bedürfnis nicht nur des US-Bürger gehobenen Mittelstands und der Ostküstenadel nach Luxustourismus, nach Rundumverführung,  „pandemischem Service-Lächeln“, “Celebrity-Philosophie“, „wahnwitzigem Ausmaß der Verwöhnung der Maschine-Nadir“, „Lobster Night“,  „Glückseligkeits- und Heilsversprechungen“ eine vielfach verdrängte Voraussetzung in ethnisch-hierarischen Herrschaftsstrukturen hat, im Falle der „Nadir“ vom griechischen Elitekader bis zu den Drittwelt-Gestalten der „Service-Sklaven“, die nur für einen kurzen Augenblick in der glänzenden Episode des libanesischen Gepäckträgers ein persönliches Gesicht bekommen.
Wenn Wallace zurecht empfindet, dass „all diese Kreuzfahrten etwas unerträglich Trauriges umgibt“, dann stellt sich nur noch die in einer literarischen Reportage wohl nicht zu beantwortende  Frage, warum die „Nadiriten“ (der Boom von Luxuskreuzfahrten und Clubarrangements ist gewaltig) sich massenhaft, freiwillig, kostenpflichtig und ohne Anzeichen von Scham zu Tode amüsieren.
Apropos Amüsement: Die Spaßolympiade « Pool Possen » des Cruise Directors Peterson ist von der letalen Gefahr deutlich weiter entfernt als die zotige Unterdruck-Anekdote über seine Gemahlin Mrs Scott Peterson und ihren Mexikaner(hut).
Ein Buch, das ich trotz seiner mitunter lesestörenden Fußnoten, zunächst in einem Fluss (Karibik!) gelesen habe. Schiffspassage  zum fidelen Orkus – wo ist der Rettungsring? Note: 2/3 (ai) <<

>> Nicht schrecklich, aber amüsant und in Zukunft mehr mit mir! David Foster Wallace ist eine Entdeckung. Das schmale Bändchen Reiseliteratur – eine Auftragsarbeit – der anderen Art macht neugierig auf mehr von einem Autor, der in hinreißend komischer und spannenden Art die seltsamen Abläufe einer Kreuzfahrt beschreibt.
Trotz aller ätzenden Kritik an hohlem Amüsement und herdenhaftem, tumben Verhalten seiner Mitreisenden, schafft er aber auch liebevolle, einfühlsame Porträts einzelner Personen an Bord und leiht sich am Ende doch noch einen Smoking für das Captain’s Dinner. Note: 1/2 (ün)<<

>> Ein Wallace auf Wellen mit dem journalistischen Auftrag für eine Zeitschrift Eindrücke einer einwöchigen Kreuzfahrt durch die Karibik unterhaltsam zu durchleuchten. Der Titel verrät bereits das Layout: „schrecklich“ und „amüsant“. Und weil das erstere schwerer wiegt, folgt erwartungsgemäß „aber in Zukunft ohne mich“. Wallace ist kein Mensch lauter Seemannslieder, sondern als „Agoraphobiker“, wie er sich selbst einstuft, eher der stille Horcher hinter verschlossenen Kajütentüren. Und was er da hört, bekommt durch eigenwillige Assoziationen durchaus amüsante Klänge.

Während das Kreuzfahrtschiff von Horizont zu Horizont stampft, entdeckt er die kleine Gruppe der Exzentriker samt dem Toupet tragenden Jungen, der nie ohne orangefarbene Schwimmweste beobachtet wird, den extrovertierten Showmeister, dessen Frau nackt auf dem Unterdruckklo des Traumschiffes festgesaugt war, den Seepfarrer, der während seiner Predigt vor dem Klappaltar dankenswerterweise auf nautische Metaphern verzichtet und natürlich das rehäugige Zimmermädchen Petra. Mit Petra verbindet Wallace eine rege, wiederkehrende Unterhaltung, auch wenn Petra sich in gebrochenem Englisch auf den einfühlsamen Jauchzer „You funny thing, you.“ beschränkt. Trotz ihrer Einsilbigkeit bleibt sie ein Servicephänomen, da sie ohne je dabei gesehen zu werden, augenblicklich die Betttücher glättet, sollte Wallace länger als 29 Minuten die Kabine verlassen haben. Das Leben an Bord – ja auch das Bord / das Boot selbst ist ein Phänomen – geprägt von Luxus, Dekadenz, und herrlicher Sinnlosigkeit.

Es bleibt nicht aus, dass Wallace gelegentlich in der Ecke der Überheblichkeit stecken bleibt. Dennoch gelingt es immer wieder, sich mit eingestreuter Selbstironie etwa als Mann mit der Zinksalbennase selbst zum Erzählgegenstand zu machen. Amüsante Wortspielereien lockern den Text auf, wenn wir von narkoleptischer Bequemlichkeit der Liegestühle oder dem postkoitalen Timbre der Deutschen Sprache erfahren. Sehr bemüht wirken allerdings seine Passagen, die einem ernsten Anspruch folgen, wie etwa die Ausführungen zum „professional smile“ als Grundlage der Servicekommunikation. Hier wagt der Autor den Schluss, dass aufgesetzte Freundlichkeit durch unterdrückte Emotionalität Gewaltverbrechen provoziert. Ähnlich befremdlich wirken kritische Ausführungen zu „Infomercials“, für die der konkurrierende Autor Frank Conroy nach einer ähnlich beauftragten Kreuzfahrt einen poetisch vermarkteten Essay verfasste. Vergeblich bemüht sich der Leser zu verstehen, wo die Unterschiede in der Verwerflichkeit zwischen den Auftragsarbeiten von Conroy und Wallace zu suchen sind.

Zusammenfassend trägt die leichte Lektüre über den kultivierten Tagesablauf auf hoher See dennoch zur Erheiterung bei, vielleicht noch mehr, wenn der Leser dabei kreuzfährt. Note: 3 (ur)<<