Aufbau Taschenbuch 2008, 653 Seiten.
>> Leon Feuchtwanger schreibt zwei glänzende Romane in einem: einen historischen Roman und einen psychologischen Künstlerroman. Die Welt der spanischen Granden, Infanten und Intriganten im ausgehenden 18. Jahrhundert ist auch für Goya die notwendige Bühne, auf der in jeder Beziehung die Musik spielt. Dass sich mit dem Erscheinen Dona Cayetanas, der Herzogin von Alba, zur der Leidenschaft des Malens eine fast noch verzehrendere Leidenschaft des „cortejo“ hinzugesellt, macht für den späteren 1. Hofmaler den Lebensweg zuweilen zum Hexentanz. Zunächst noch in der Schule rein repräsentativer Porträtmalerei verhaftet, legt er bald die Gesichter hinter den Masken frei. Das erscheint um so notwendiger, als am Hofe Königin Dona Maria Luisas und ihres Favoriten Don Manuel die Horizonte des Politischen untrennbar mit den Dimensionen der Horizontalen verbunden sind. Ein Mächtespiel der großen und kleinen Fallensteller, Lust- und Herrschaftsdiplomatie, strategische Heiratspolitik („Wer aus Liebe heiratet, krepiert aus Wut“, span. Sprichwort S. 392)), Heuchelmoral und Inquisitionsbarbarei (von Carrenzas über Olavide bis Jovellanos) in der Umbruchsphase von Absolutismus und Aufklärung – Facetten eines Geschichtsbuch, das an Anschaulichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Ob und wie sich Goyas Kunst in dieser Welt zu einer von seinen liberalen Freunden geforderten „Idioma universal“ entwickeln konnte, das erscheint eine der zentralen Fragen des Romans. Die Gängelungen auf formaler Ebene, Goyas Kampf um die Ablösung der Fessel Linie durch „Farbe und Luft“, aber vor allem die inquisitorische Zensur bestimmte das Sujet des Künstlers. Mochte „Die Familie Carlos IV“ (Don Fernandos ‚Stellungskrieg’, ‚Hand und Kopfgeld’ Bezahlung – inhaltlich und sprachlich zwei großartige Possen!) die auch die Stellung zum 1. Hofmaler begründen, die für Goya entscheidenden Bilder waren jene den öffentlichen Blicken verborgene „nackte Cayetana“ und die von ihr zerschnittene „Himmelfahrt der Lüste“, die die obsessionshafte Beziehung zur Herzogin von Alba ins Bild setzte. Kein Zufall, dass sich Goya in dieser von zunehmender Taubheit und Dämonenträumen verfolgten Phase vorübergehend an den Ort seiner Kindheit zurücksehnt. Nach Madrid zurückgekehrt , spitzt sich der Machtkampf zwischen inquisitorischer Restauration und den Repräsentanten liberaler Aufklärung um Miguel, Javellanos, Peral, Quintana zu. Auch wenn sich Goya nicht zum Märtyrertum bekannte, mit seinen „Caprichos“ sahen sich die spanischen Granden, Infanten und Intriganten im Spiegel und triumphierend dokumentiert der Feuchtwangersche Erzählers Goyas „Schrei“ unter das letzte Blatt der Radierungen: „Ya es hora – Sie ist da, die Stunde, abgelaufen ist die Zeit“. Dass der spanische Hof um Königin Dona Maria Luisa wider Willen zum Vermittler dieser Botschaft wird, ist ein letzter literarischer Schachzug Feuchtwangers- zu genial, um wahr zu sein. Wer das Glück hat Lion Feuchtwangers „Goya“ im sonnenbeschienen Retiro, angelehnt an eine dorische Säule, mit drei Freunden zu besprechen, wer dann am Tage danach gleichsam mit Goya durch die Ermita de San Antonio de la Florida schreitet um die weltlichen Engel zu bestaunen und wer dann noch im Prado, wenn auch nur die bekleidete (weil die nackte kurzfristig ins Grand Palais nach Paris entführt) Maja Cayetana vor Augen hat, der ist sich seiner Wertung für diesen Roman sicher: 1 (muy bien) (ai) <<
>> Mit der Person des spanischen Malers Goya während der Zeit Napoleons erhebt Feuchtwanger ein bis in die Jetztzeit gefeiertes künstlerisches Idol zum Romanhelden, der sich durch seelische Tiefen zur moralischen Erkenntnis quält. Ausgehend von den wenigen verfügbaren, authentischen Belegen entwickelt Feuchtwanger einen Historienroman, welcher letztlich die gestaltende Kunst zu einer Lingua universale steigert – eine Verständigungsform gegen den bornierten, ausbeuterischen Zeitgeist.
Feuchtwanger skizziert in überzeugenden Farben die Lebensgeschichte eines ambitionierten Talentes, das aus einfachen Verhältnissen stammend sich zunächst in die Gobelin Werkstätten Madrids malt. Rustikale Motive in schlichter, für die Teppichweberei geeigneter Ausführung bestimmen die Qualität. Durch die Heirat mit Josefa Bayeu, der Schwester des 1. Hofmalers, vollzieht Goya nicht nur die Annäherung an den Adel, sondern auch an die Kunst des großen Schwagers Franscisco Bayeu. Tatsächlich kann er nach dessen Tod seine Positionen in Akademie und Königshaus einnehmen. Bis dahin hatte Goya bereits einen eigenwilligen und zunächst umstrittenen Weg eingeschlagen. Künstlerisch löst sich die Romanfigur von den strengen Regeln der klassischen Malerei, gibt das Diktat der klaren Linie auf und lässt die Konturen seiner Figuren kaum merklich im Umfeld verlaufen. Bestimmend und betörend zugleich ist auch die Erfindung eines genialen Grautons. Die anfänglichen Geschmacksanfeindungen verkehren sich ins Gegenteil. Bald überschlagen sich die Aufträge der Aristokratie. Goya genießt die vollen Kassen und den demonstrativen Luxus einer Edelkarosse, derer es landesweit nur drei Exemplare gibt. Seiner fordernden Mätresse Pepa Tudo bringt sein Erfolg großzügige Geschenke. Das Leben läuft rund. Zuhause die liebevolle, unendlich geduldige Frau, die ihm ununterbrochen Kinder gebärt ohne dass er sich darum sorgen müsste. Hinten die tolerierte Hurerei und vorne die künstlerische Krönung, die seiner beruflichen Eitelkeit am oberen Ende der Karriereleiter huldigt.
Und dennoch bewahrt sich der Maler einen Grundzug, der von den einen als künstlerische Aufrichtigkeit – nämlich die Wahrheit malen, wie sie ist – interpretiert wird und von anderen als aufsässige Ich-Bezogenheit empfunden wird. Letzteres auch bekannt als Grundzug des dickköpfigen, prototypischen Urspaniers, des Mayo. Entsprechend geniert sich Goya nicht, die königliche Familie großformatig in aller Zweideutigkeit darzustellen, die weder Unvorteilhaftes noch Lächerliches in den Herrschergestalten ausspart. Auf der Welle des selbst inszenierten Zeitgeistes reitend bleibt Goya dennoch der Applaus erhalten.
Goya gibt sich als Mann monumentaler Libido so wie es für den klassischen Mayo und vor allem jener der Aristokratie der Brauch ist. Die Begegnung mit der strahlend schönen Herzogin Cayetana von Alba jedoch trifft ihn ins Mark und wird eine erst durch den Tod gelöste Obsession auslösen. Jedes Haar dieser Frau sei von betörend erotischer Ausstrahlung. Fortan wird er Notlügen gebrauchen, die Etikette verletzen, seine Familie noch mehr vernachlässigen und sogar König und Königin brüskieren, um der Intimität der Alba nahe zu sein. Ein verhängnisvolles Wechselspiel über viele Jahre stellt sich ein. Auch sie kann von ihm nicht lassen, ignoriert, lockt, liebt und instrumentalisiert ihn im weiblichen Ränkegeplänkel mit der wenig anmutigen, konkurrierenden Königin Maria Luisa.
Um den argen Weg der Erkenntnis Goya herauszuarbeiten, pointiert Feuchtwanger mit historischen Detailkenntnissen die quasi innerbetriebliche Beschaffenheit der aristokratischen Maschinerie mit all ihren Intrigen wie auch die Grotesken der europäischen Machtpolitik. Goya verschreibt sich zunächst der absurd anmutenden, aber realen Welt des Adels, um sein Streben nach Ruhm und Einfluss zu befriedigen. Lange schaut er schweigend zu wie König und Herzöge mit Papst, Portugal und Napoleon jonglieren, Heiraten erzwingen und Kritiker in die Verbannung schicken um Befriedigung für Eifersucht, Ehrverletzung und sexuelle Begierden zu erlangen. Goya spielt mit. Auch reagiert er nicht auf die verärgerten Anfeindungen seines treuesten Mitarbeiters Agustin, der ihn des moralischen Verrats bezichtigt.
Bezeichnenderweise wird Goyas Erkenntnisprozess zunächst nicht rational gelenkt, sondern entspringt einem gänzlich unpolitischen, ja unmoralischen Ursprung. Es sind die seelischen Wechselbäder Goyas mit Cayetana, der Suchtcharakter ihrer Beziehung mit allen Elementen intensivster Sinnesfreuden, suizidaler Verzweiflung und völliger Selbstaufgabe, die ihn in den Vorhof des Wahnsinns treiben. Als Vorbote dieser neuronalen Degeneration stellt sich eine völlige Taubheit ein. Goya beantwortet den schicksalsträchtigen Angriff auf seine Gesundheit mit Askese und sozialer Selbsterniedrigung. Er wirft den Purpurmantel der Prasser ab, verweigert sich den Kunstdelirien und begibt sich in die Einsiedelei. Zunächst ist es ein Akt der Verzweiflung, doch stellt sich mit der Zeit ein nach außen gerichteter kritischer Unmut ein, der sich vor allem an der bedrohlichen Zensur der in Spanien immer noch herrschenden Inquisition entzündet.
Goya beginnt wieder zu malen. Er wendet sich Radierungen zu. Darstellungen, die nur Schwarz kennen. Themen, die überwiegend politisch sind. Ausführungen, die mindestens bissige Karikaturen darstellen, häufig auch eindeutige Anfeindungen ausgewählten Persönlichkeiten gegenüber: klerikale Gestalten, die in selbstherrlicher Doppelmoral den Anstand verletzten, Herrschergestalten, die ihre Macht missbrauchen; Herrschaften des öffentlichen Lebens, die durch Gier, Geiz und Geilheit breitspurig Missbrauch betreiben.
Goyas blasphemische Zeichnungen erwecken schließlich den Zorn der Inquisition, dem er nur entkommt, weil mit der Hilfe von Freunden das Königspaar gedrängt werden kann, die schützende Hand über ihn zu halten. Goya findet durch diese zweite, sehr ernste persönliche Bedrohung zurück zur Familie. Doch wenig später sterben Frau und Kinder und im Laufe der Zeit auch die engsten Freunde. Er bleibt vereinsamt zurück. Die letzten Jahre vergräbt er sich schließlich auf dem Lande und beschränkt sein künstlerisches Schaffen auf nekrophile Wandmalereien im eigenen Hause. Zu diesem Zeitpunkt wird der arge Weg der Erkenntnis bereits vom Flugsand der Dämonen, die von ihm Besitz ergreifen, verschüttet. Auch wenn er selbst die Erkenntnis nicht mehr wirklich leben kann, so bleiben doch seine kritischen Karikaturen, die Caprichos, bis heute bestehen und artikulieren sich als Lingua universale.
Ein lesenswerter Roman, der dem geduldigen Leser nicht nur kunstgeschichtliche, sondern auch machtpolitische Visionen hinter die dunklen Kulissen europäischer Intrigennetze erlaubt, ohne dabei den Anspruch auf Authentizität zu erheben.
Note: 2 (ur)<<
>> Ein fesselnder Roman über Francisco de Goya, Hofmaler des spanischen Königs Carlos IV. Am Anfang macht es durchaus Mühe das personale Inventar mit ähnlich klingenden Namen wie Dona Luisa und Dona Lucia und die vielen andern Figuren und deren Funktion am spanischen Hofe des ausgehenden 18.Jahrhunderts auseinander zu halten. Hat man sich aber erst einmal eingelesen, fasziniert Feuchtwangers Roman trotz gewaltiger 600 Seiten sowohl in inhaltlicher, als auch in sprachlicher Hinsicht.
Wer sich der Goya Abteilung im Prado zu Madrid oder den Deckengemälden in der kleinen Kirche San Antonio de la Florida nach der Lektüre des Romans nähert, sieht sie mit anderen Augen. Sie erzählen neue, oft auch lustige Geschichten. Zum Beispiel von den durchaus heiteren Querelen der royalen Bourbonen bei einer frühen Familienaufstellung für ein herrschaftliches Bild, bei dem Goya uns dann aber letztlich hinter die Fassade auf durchaus menschliches blicken lässt. Kein Spur mehr vom Gottesgnadentum. Ein kunsthistorischer Sprung nach vorne, an dem uns Feuchtwanger teilnehmen lässt. Die Macht der Kirche, des Königs und der Königin, der Inquisition, die beginnende Aufklärung und deren Anhänger in Spanien, die Reformer in der Regierung, die die Ideale der französischen Revolution bewundern, und immer mitten drin – Goya. Feuchtwanger hat hier auch eine Parabel auf die McCarthy Ära in den USA geschrieben, deren Subjekt er war, wie sein Goya Subjekt der Inquisition war. Kein offener politischer Revoluzzer, manchmal vielleicht sogar etwas opportunistisch. Als Künstler aber ist Goya der Wegbereiter der Moderne. Dies zu zeigen gelingt Feuchtwanger auf überzeugende und vielschichtige Weise. Er offenbart uns Goya aber auch als leidenschaftlich liebenden, aber auch leidenden Menschen. Note: 1/2 (ün) <<
>>Niemand dürfte unbeeindruckt bleiben von der Fülle der Fakten, die Lion Feuchtwanger in seinem Buch aufbereitet hat. Sieben Jahre Arbeit, mehr als für jedes andere seiner Bücher. Eine bemerkenswerte Leistung auf fast 600 engbedruckten Seiten. Dem Autor gelingt es, die Entwicklung des genialen Malers, seine Höhen und Tiefen glaubwürdig nachvollziehbar zu machen. Viele Menschen spielen eine Rolle im Leben Goyas und leicht könnte man da den Überblick verlieren. Ein Arbeitsblatt brachte den späten Durchbruch (Danke Rainer!). Viel interessantes landeskundliches Wissen wurde verarbeitet, der spanische Hof, der Adel , seine Granden und die Obsession der „pureza de sangre“ (Blutreinheit), die unheilvolle Inquisition, der vergebliche Kampf der Aufklärer („afrancesados“) gegen die Reaktionäre. Oder auch die konkurrierenden ästhetischen Theorien dieser Epoche (Mengs, Jacques Louis David contra Goya). Die Entstehungszusammenhänge der Werke Goyas werden klarer und nach der Lektüre dieses Romans ist Goya-Gucken sicherlich erhellender, erkenntnisreicher. Aber es ist manchmal ein arger Weg bis Seite 584.
Feuchtwanger liebt es, Adjektive aneinander zu reihen. Eine kleine Kostprobe: „Er brauchte seinen schweigsamen, immer verdrossenen, tief verständigen, viel wissenden, kennerischen, hageren Agustín, der herumging wie die sieben mageren Kühe (….) Er konnte ohne ihn nicht auskommen, sowenig wie Agustín ohne seinen großen, kindischen, bewunderten, unerträglichen Freund.“ (Seite 24) Hat das Werk nach 57 Jahren etwas Patina angesetzt? Wie würde wohl Daniel Kehlmann den Goya-Stoff heute bearbeiten, habe ich mich manchmal gefragt. Leichter, flüssiger, leserfreundlicher? Wer kein Faible für historische Romane hat, dürfte mit einer guten Biographie vermutlich besser bedient sein. Im Internationalen Feuchtwanger-Jahr 2008 (er starb vor 50 Jahren) gilt diese Einschränkung aber nicht. Der ganz besondere Lese-Ort (Danke Burkhard!) zwischen den Säulen am Alfonso XIII-Denkmal im Retiro-Park in Madrid hob das gemeinsame Gespräch aus vielen anderen heraus. Wenn das nur die lautstarken Trommler gewusst hätten . Note: 2/3 ( ax)<<