Hochdeutschland – Alexander Schimmelbusch

Tropen, 2018 | 214 Seiten.

>> Was da im Frühjahr 2017 im Glashaus in Falkenstein beginnt, klingt zunächst nach einer bitter-ironischen Abrechnung mit der Blasenwelt der  Finanzjongleure. Dass sich ihr Protagonist Victor als Akteur und Profiteur dieses Metiers allerdings nicht als glaubhafter Zeitzeuge eignet, ist die Tragik der Konstruktion, die daher 15 Jahre später in ebendemselben Falkensteiner Glashaus mit der nach wie vor millionenschweren Romanleiche enden muss. Gewiss einiges hat sich in Victor geändert in diesen 15 Jahren: Er ist nicht mehr der Chefstratege der Birken-Bank sondern seit 12 Jahren der „strategische Schamane“ der weltgrößten  German Investment Authority. Victor hat mit seinen fulminanten „politischen strategischen Optionen“ seinen Studienkumpel, den „Deutsch-Muselmanen“ Ali Osman mit dessen DAG gleichsam im Handstreich zum Bundeskanzler gemacht. Verändert hat sich auch Victors Musikgeschmack. Während sich die „PAF“-Gazelle nähert, begleitet nicht mehr „Rammstein“ sondern die 4. Symphonie Beethovens die Glashaus- Szene.  Bis zum finalen Schuss ist allerdings sein erlesener Geschmack für Wohnaccessoires und Weine geblieben, allerdings jetzt nur noch ein „Forellentatar…mit Wasabiwurzel“ und eine “Flasche Brauneberger Juffer Sonnenuhr“ und nicht mehr die vom Roomservice seines Berliner Hotels  servierte „Peking-Ente“ und Flasche Richebourg für 2400 €, die ihm wohl etwas zu sehr benebelt die Finger lockerte für ein flammendes Plädoyer gegen die Skrupellosigkeiten des Neoliberalismus, mal ein bisschen Marx, mal ein bisschen AfD, mal Ernsthaftes (Vermögensobergrenze und GINA), mal Slapstick (Umschuldung des Maschinenbauschlossers zum urzeitlichen Aalfischer). So verpackt entschärft Schimmelbusch die dringend notwendige Auseinandersetzung mit den ökonomischen und gesellschaftlichen Widersprüchen. Es ist eine Nullnummer , wenn ein millionenschwerer Investmentfuzzi über den Leistungsgedanken räsoniert (Krankenschwester gegen Immobilienhai), eine weitere Nullnummer, wenn derjenige, der zuvor an die Kataris  Thyssen-Krupp U-Boote verscherbelt sich zum Mahner „skrupelloser finsterer Wüstendiktatoren“ aufschwingt. Vielleicht aber, und dann hätte ich Schimmelbusch gänzlich falsch verstanden, geht das Entlarvungsspiel und der Zynismus der Finanzweltjongleure a la Victor so weit, dass sie noch aus den von ihnen verursachten Widersprüchen Kapital (im wortwörtlichen Sinne) schlagen und in Rotweinlaune einen neuen manipulativen „Pitch“ auflegen: Wie schaffen wir ein einkommensgerechtes zukunftsfähiges Deutschland? So gesehen wären dann Victor und die Seinen doppelte Rattenfänger. Jedenfalls mag  das Bild vom Banker, der  – seines Erfolgs überdrüssig und des „Megatrends Ungleichheit“ einsichtig – jetzt mal die ganze Schickimicki- und Investment- Szene vorführen möchte und auf die verbalradikale Pauke haut („Warum ölte niemand die Guillotine?“), nicht richtig zu verfangen. Doppelbödigkeit allenthalben: Seine Heimatstadt Frankfurt ist zur „Schmerzensgeld-Shoppingmall degeneriert“, die Skyline-Bohrtürme – welche „Pitchis“  und „M&As“ von Seinesgleichen haben dazu geführt? Die süffisante Abrechnung Victors mit dem Vapiano-Clan und dessen Stellengesuche in Bild.de sind sie nicht harmlos im Vergleich zur Personalrekrutierung der von Victor geführten Vorstellungsgespräche der Birken-Bank („Straflager“, “Rekruten, die bis an die Grenze ihrer physischen Kapazitäten getestet werden“). Da versagt selbst der Versuch der  Entlarvung des Taunuswohlstandsbürgertums im Kleinen. Da höhnt man über donnernde „Biturbo-Familienkombis“ von Mercedes auf der B455 , in denen Frauenfüße in „Design-Hainen aus Edelkastanien“ Titan-Gaspedale niederdrücken (52), während unser Victor mit der S-Version seines Share-Khans sich Seiten später mit dem Gedanken trägt, mit der „Zuckung seines Gaspedals“  den zynisch imaginierten „Sachbearbeiter in dessen Versagerwagen an den Brückenpfeiler zu treiben“ . Beim Thema Frauen bleibt Schimmelbusch kein Klischee schuldig: Nachdem Victor die „Persona“(!!) Antonia, die Mutter der gemeinsamen Tochter Victoria abgelegt hat, tritt die junge Nachbarin Maia auf (geschmacklose Assoziation „schöne Dissidentin nach einem Monat Hungerstreik“), deren Ehemann natürlich vom Typus Kotzbrocken sein muss: Deutschbanker alter Schule, Victors sofortige Assoziation: Deutsche Bank Dreck am Stecken wegen Ausschwitz und dann hat dieser Ehemann und Freizeitjäger noch als Gipfel nen Meese in der Küche hängenden der kunstsinnige Victor entlarvt, „als hätte ein debiler Gestapo-Offizier“ das gemalt. Maia übernimmt übrigens in Victors Glashaus und in der heimischen Küche ebenso wie die polnische Masseurin im Spa-Adlon real das, was virtuell osteuropäischen Webpornoseiten für den Inhalt von Victors „Zegna-Hose“ (S.52) ersetzen. Weniger schlüssig für die Bedürfnisstruktur Victors will mir der Romanschreibversuch erscheinen, mit dem Victor „sein inneres Leben festzuhalten“(57) versucht. Folgerichtig will die Geschichte vom U-Bootkommandanten und einer seelisch erloschenen Prostituierten auch nicht die Lektorin zu überzeugen, eine grandiose Szene, die ich inhaltlich wie sprachlich mit 1 bewerte, Vielleicht allerdings hätte die Lektorin ihr Urteil korrigiert, wenn sie die letzten vier Romanseiten Schimmelbuschs gelesen hätte. Da erschließt sich nämlich, was dem irritierten Leser bisher verborgen geblieben ist: Maia Stahl bisher nur als Victors Sexualobjekt wahrgenommen, ist inzwischen zur Kommandantin eines interkontinentalgestützten U-959-Bootes aufgestiegen und setzt um, was sie aus „Victors-Bibel“  (wahrscheinlich einer Mischung aus Romanfragment und politischem Strategiepapier) als „letzten finsteren Liebesdienst“ ableitet. Die Rache an Victors Hinrichtung erledigt die „Antipersonenwaffe in Form und Größe einer Kinder-Überraschung“, die in einem Nachtclub von Damaskus jener Attentäterin gilt, die ein paar Monate zuvor im „schwarzen Jumpsuit von Jil Sander“ der „PAF“ alle Ehre gemacht hatte. Da sage noch einer, diese Amerikanisierung deutscher Vergeltungsstrategie sei nicht schlüssig konstruiert.

Solche Romane muss man mögen, ich gehöre nicht dazu und bin dankbar vor allem auch für den unveröffentlichten Beststeller „Polarsonne“.  Note : 5 (ai) <<

>> Sprachlich ein totaler Gegensatz zum vorherigen „Trafikant“. Keine „leichte“ Sprache. Was Schimmelbusch mit der deutschen Sprache anstellen kann, macht schwindelig und manche Sätze muss man zweimal lesen- manchmal um sie zu verstehen, aber ganz oft , um die Raffinesse und die Kreativität  voll zu genießen.
Zum ersten Mal ein Buch, bei dem ich keine einzige Zeile aufgeschrieben habe, da seine Sprache einen Sog entwickelt und ich eigentlich jede zweite Zeile hätte festhalten wollen.
Schimmelbusch zündet ein fast rauschhaftes, sprachliches Feuerwerk und analysiert schonungslos die groteske, absurde Welt der Investmentbanker und die gesellschaftliche Lage der Bundesrepublik Deutschland.

„Schimmelbusch hat einen wahnsinnig lustigen, bösen, politisch klugen Untergangs-und Aufbruchsroman geschrieben“ (Volker Weidermann, Literaturspiegel).

Besser hätte ich es nicht formulieren können.

Note: 1 – (ün) <<

>> Mit Hochdeutschland hat der ehemalige Investmentbanker Schimmelbusch gesellschaftspolitische Klamauk-Literatur mit einem überraschend bedenkenswerten Kern geschaffen. Für alle, die seinen Werkstil schätzen, ist ein überschäumender Unterhaltungswert garantiert. Aber nicht jeder wird es mögen. Der geneigte Leser wird von rauschenden Kaskaden gurgelnder Sprachsprudel fortgerissen, während ein humorloser Flachschwimmer verunsichert nach Luft schnappen wird. Nicht zuletzt taucht uns der Autor in turbulente Fluten von Finanz-, Wirtschafts-, Eros- und Psycho-Untiefen. An deren Ende verbindet die neue Bundesrepublik als Deutschland AG Raubtier-Kapitalismus mit grünsozialer Nachhaltigkeit. Ein neues Gesellschaftssystem wird geboren – nach innen warm, aber kalt nach außen. Von Ludwig Erhard über Joschka Fischer bis zu Donald Trump – vereint ergibt sich ein erstaunlicher, aber denkbarer Staatscharakter.
Der Protagonist Victor streift als Investmentbanker mit 39 Jahren bereits die Rentner-Randzone. Er ist äußerst erfolgreich, Multi-Megamillionär, Co-Inhaber der Birken Bank mit Blick vom 32. Stockwerk der liquidierten Dresdner Bank auf die Niederungen der Frankfurter Metropole, Eigentümer eines historisierten Glaspalastes in Taunus-Halbhöhenlage, geschiedener Ehemann mit rustikaler Libido und einer Offenheit für alternative Lebenszustände. Eine seiner 102 Wohnungen in Berlin nutzt er von Zeit zu Zeit, um inkognito auf einer Bodenmatratze meditativer Bescheidenheit nachzuhängen oder einem gediegenen Engelhardt Bier am Säufereck zu frönen. Victor hat zwei Profile. Beide vereint er zu einem zügig formulierten Manifest, das die Republik verändert.

Wir schreiben das Jahr 2017. Angela ist immer noch bundesrepublikanische Mutti. Doch die Regierungsfamilie schwächelt. Das Volk ist müde angesichts der politischen Tristesse. Wahlen machen die Weißen zur dominierenden Partei. Ali Osman, ehemals Vorzeige-Deutschtürke mit einnehmendem Charisma bei den Grünen, ist abtrünniger Parteigründer der Weißen und nun Alternativkanzler. Das Parteiprogramm jedoch basiert auf dem Manifest seines Freundes Victor. Victor wird Ayatollah, Vor- und Überdenker der Partei, Doppelminister für Bildung und Finanzen und vor allem Vorsitzender der GINA. Das Parteiprogramm schäumt vor Vitalität und Innovation. Finanzmarktprinzipien und globale Kampfstrategien bilden das Fundament. Die Konkurrenten werden außerhalb der Nation verortet. Nach innen wird die Solidarität umso größer geschrieben. Die Reichen müssen mit einer bitteren Obergrenze von 25 Millionen Euro ihr Leben fristen. Alles Darüberliegende wird kompromisslos mittels dem staatseigenen und inzwischen weltgrößten Kapitalfond GINA umverteilt: soziale Marktwirtschaft in Kristallkultur. Eine ausdauernde Werteerziehung aus Victors Bildungsministerium festigt Teilhabe, Toleranz und ökologische Lebenshaltung in den deutschen Köpfen. Die Deutschland AG avanciert zur wirtschaftlichen und politischen Großmacht. Im Anblick der dritten Legislaturperiode wird Victor jedoch vom konservativen Mittelbau tödlich niedergestreckt, weil nicht alle überzeugt werden können.
Wer war Victor? Victor hatte der Regierung empfohlen, die Pumpspeicher-Kraftwerke ins amerikanische Ausland zu verkaufen. Wie beim Staubecken verdiente er seine großzügige Marge mit dem Abfluss. Während die deutsche Energieversorgung im freien Fall dahinrauschte, lief sein Banknoten-Dynamo schon mal heiß. Beim Anblick des nächtlichen Hochpumpens kam ihm jedoch, dass er – anders als beim üblichen Energieprinzip – auch beim Rückfluss seinen Gewinn mehren könnte. Also überzeugte er die Politik wenig später, die staatstragende Technik aus den Händen unberechenbarer Finanzjongleure zurückzukaufen. So ließ sich rauf wie runter verdienen. Die Hauptarbeit machte dabei stets das namenlose Heer seiner Mitarbeiter, die gnadenlos verschlissen wurden. Er wollte ausdrücklich keinen empathischen Kuschelzoo.
Die völlig andere Seite des Investment-Serienmörders lebte er daheim, wenn seine sechsjährige Tochter Victoria zu Besuch kam. Victor verausgabte sich unermüdlich, fürsorglich, vorausschauend, liebevoll und grenzenlos. Obwohl Geld keine Rolle spielte, verkniff er sich aus pädagogischen Gründen die gröbsten Übertreibungen.

Victors Visionen schlugen sich nicht nur in politischen Manifesten und beruflichen Vortrags-Pitches nieder, sondern auch in schriftstellerischen Bemühungen. Leider missfielen diese seiner Lektorin: der beachtliche Stilwille solle wohl die eklatante Plotarmut seines Werkes verschleiern. Das kann auch als ironische Selbstkritik des Autors Schimmelbusch gelesen werden. In dieser Passage konstruiert der Autor einen Roman im Roman, indem Victor Dinge intuitiv vorwegnimmt, die schließlich Teil seines Lebens/Ablebens werden. Hierzu gehören Episoden seiner Nachbarin, die als U-Boot-Kommandantin seinen Mord an der in Damaskus untergetauchten Attentäterin rächt.

Letztlich erfahren wir also, was aus Victor wurde. Wir erfahren nicht, was aus der Deutschland AG (DAG) wurde – nur wie sie wurde, was sie ist. „Mit ihrer Rhetorik der radikalen Chancengerechtigkeit hatte die DAG dem linken Spektrum keine Luft zum Atmen gelassen, zumal Ali trotz seines fremdländischen Erscheinungsbildes dazu in der Lage gewesen war, durch das punktuelle Verbreiten einer provinziellen Biertrinker-Romantik der kulturellen Entwertungserfahrung der desillusionierten Arbeiterklasse entgegenzutreten. Mit ihrem Fetisch für Leistung und dem Theaterdonner bei der Migration hatte die DAG zudem die Liberalen und die Playmobil-Nazis auf ihre jeweilige Kernklientel heruntergeprügelt. … was sich in beiden Fällen auf kaum mehr als drei Prozent der Wahlberechtigten summiert hatte. Aber auch im Gehege der Union hatte die DAG gewildert und darin Wähler gewonnen, die den Gedanken einer dominanten Bundesrepublik attraktiv fanden.“ (S. 208f.)

Man darf gespannt sein, ob Schimmelbusch ein visionärer Blick  in die deutsche Zukunft gelungen ist.  Note: 2 (ur)<<

 

 

Victor Multimillionär
fällt das Leben ziemlich schwer
Zweifel hie und Zweifel dort
Mainhättan sein Wirkungsort.

 

Victor scheffelt in Mainhättan
Kohle wie wir sie gern hätten
Trotzdem wird er nicht recht froh
Macht Geld glücklich? Nirgendwo.

 

Freude findet er im SPA
wenn die Hand von Valezska
gut geölt Entspannung schafft
das schenkt Victor neue Kraft.

 

Doch sein Pop-Parteiprogramm
kommt gut bei den Wählern an
Spezl Ali Deutschlandboß
alles staunt, wie schafft er’s bloß.

 

Schimmelbeck schrieb den Roman
wo man lachen&weinen kann
„Hochdeutschland“ nennt er die Story
bis zur letzten Seiten worry
Und am Ende in Damaskus
platzt die Bombe, aus und SCHLUSS.

 

Note: 2 ( ax)<<